Jürgen Lodemann
Schriftsteller, Filmemacher

2017

unten  links: 2014, rechts 1973

1955


FILME  (Auswahl):


Start war 1968 "IM WARTESAAL DER LIEDERMACHER, und "IM WARTESAAL DER FILMEMACHER",  in SWF-Abenden mit jungen Liedermachern und Filmemachern - und zwar im originalen alten Wartesaal des Kaiser-Bahnhofs Baden-Baden, heute Foyer des großen Konzerthauses der Festspielstadt. Fürs Fernsehen des SWF versammelten sich da die, die auf Burg Waldeck Beachtliches getrieben hatten. Da sangen Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüpp, Dieter Hüsch, Franz Hohler, Dr. Dr. Dr. Schwendter, Reinhard Mey, Walter Mossmann, Floh de Cologne, Hannes Wader, die Insterburgs und viele andere. Es entstanden vier Sende-Folgen zu 60 bzw. 45 Minuten. Die vierte Folge fiel unter die Zensur und scheint verschollen. In bester Erinnerung ist darin Walter Mossmanns Lied "Renitent" und sein „Lied vom Goldenen Buch“ der Universität Freiburg, in diesem Goldstück erscheint auf Seite 67  die Unterschrift des mörderischen Nazi-Richters Roland Freisler  (vgl. Lodemanns „Schwarzwaldgeschichten“ , 2007).

Im November 2017, also fast 50 Jahre später erkenne ich im Vortragssaal des Düsseldorfer Heine-Instituts, wo ich eine meiner kritischen Reden vorlesen soll aus "Gegen Drachen", da sehe ich plötzlich vor mir Dieter Süverkrüpp, sehe und erkenne ihn nach fast einem halben Jahrhundert und beginne wenige Sekunden, nachdem dieses Foto geknipst ist, mit dem Singen eines seiner wunderbaren Lieder, trällere den Song vom Baggerführer Willibald, den auch meine Kinder gern auswendig vortrugen und lauthals: "Im Winter ist es kalt, dann kommt der Willibald  -  und gräbt ein tiefes Loch  -  was noch?"

 

  foto: melanie zanin








Meine Filme-Macherei fürs Fernsehen begann damit, dass nach meinen Plänen ein singulärer Film entstand, von, ja VON:

Martin Walser

"WAS MAN SIEHT UND WAS MAN NICHT SIEHT.

Mit der Straßenbahn von Duisburg bis Dortmund".

Der Film lief 1969 nachmittags im Südwestfunk (heute Teil des SWR), in den Anfängen des damals startenden "Dritten" Programms. Später und noch als Rentner versuchte ich vergebens, diesen Film mal in ein Abendprogramm und womöglich in das Hauptporgramm des SWR zu bugsieren, jedesmal, wenn Walser wieder mal 10 Jahre älter wurde, 70, 80, 90 und dann - - - aber jedesmal verstand in den leitenden Höhen niemand, wovon ich redete oder schrieb oder mailte, bekam als Antwort Bescheide wie diesen: "Über Walser haben wir reichlich Filmmaterial, keine Sorge." Das "reichliche Material" hatte ich oft selber hergestellt. Aber die Kenner im Sender zu Baden-Baden wussten es besser, und so wurde Walsers Film, den ich ergreifend fand und finde, niemals gesendet. Bis heute nicht, 2021. Bester Film über das alte erkaltende Stahl- und Kohle-Revier.

Idee und redaktionelle Organisation für seinen Film entstanden, weil er 1968 in seinem schönen  Haus am schönen Bodensee die Idee hatte, filmisch Goethes "Italienischer Reise" zu folgen. Das wäre zu teuer geworden für den kleinsten Etat im Sender, für den Kultur-Etat. Das traf auf meinen Gegenvorschlag, wie es denn wäre  (nach Walsers Vorwort zu Erika Runges "Bottroper Protokolle"), statt durch Italien mal quer durch die Städtestadt Ruhr zu fahren mit Sraßenbahnen, von Duisburg über Mühlheim und Essen und Bochum nach Dortmund?

Das probierte Martin Walser im Februar 1969. Fand es aber hart, fast unerträglich. Das Wetter war kalt, neblig, dunstig, echt Ruhrgebiet. Damals begann das Sterben des Bergbau-Reviers, des größten der Welt, wurde Zeche um Zeche geschlossen, auch Stahlwerke. Das Ruhrgebiet kämpfte. Aus dem Essener Hotel rief er mich an mit erkälteter Stimme: "Grauenhaft. Trostlos". Ich ermutigte ihn: "Eben deswegen sollten Sie's machen. Sie bekommen unseren besten Kameramann!" Er zögerte lange, unser Gespräch fiel ihm schwer, ihm wie mir. "Auch bekommen Sie einen Ton-Mann, den verkleiden wir als Briefträger, bin gespannt, was der auffängt in den Straßenbahnen. Ruhrwörter sind garantiert anders als Bodenseewörter"  Mit dem Seufzer "Sie sind ein Sadist" legte er schließlich auf. Und ließ dann mit Ton- und Kamermann ein einzigartiges 30-Minuten-Dokument entstehen.

Der "sprachgewaltige" Dichter als Filmregisseur verzichtete auf jeden Kommentar. Zu intensiven Bildern des (meist Hand-)Kameramanns Horst Bever und mit Teilen aus Konzernreklame und mit Tönen und Ruhr-Sprech den Straßenbahnen der Ruhrstadt (der einwohnerstärksten zwischen Flensburg, Freiburg und Frankfurt/Oder) entstand ein Film nicht nur über die schwärzeste Zeit von Europas größtem Industrierevier, sondern auch Bilder ihres Untergangs. Und machte mich sehr intim noch einmal aufmerksam auf das besondere Sprechen der Bewohner dieser Städtestadt. In Duisburg mit rheinischem Klang, in Bochum und Dortmund mit westfälschen Akzenten. Nicht umsonst sagte mir später ein Bergmann in einem meiner fünf eigenen Ruhr-Filme: "Wo so'n Völkergemisch is wie hier, in sonnem Mischmasch, da fühlt man sich doch sofort wie zuhause".

Ja, in einer Stadt, die größer ist als Berlin. Hat mehr Bewohner,  mehr Opernhäuser als die Hauptstadt. Und überhaupt, die Ruhrstadt war 2010 nicht grundlos "Europas Kulturhauptstadt". Hier nun einige der Wunderbilder des Kameramanns Horst BEVER (später mein Kameramann zum Beispiel für den Film "Bagdadbahn"). Die ersten Aufnahmen entstanden frühmorgens zwischen 5 und 6 Uhr, bei der Fahrt zur Frühschicht. Arbeiter unterwegs zur Arbeit:








Und dann? Rahn?

üble Mitteilungen - die Fotos waren seit Jahren in der Homepage...

Martin Walser, oben links in einer der Straßenbahnen,  in Bochum?  Essen? Duisburg? Gelsenkirchen? Damals gab es noch "Krupp" in Essen und "Opel" in Bochum. In diesem Moment macht Horst Bever aus der Hand hinter dem Rücken des Schriftstellers mit einer "Arri" Schwarz-Weiß-Bilder auf 16-mm-Filmmaterial. Auch die West- und Süd-Ausgabe der BILD-Zeitung entstand damals in Essen. Der sonst so wortgewandte Dichter, zu diesen 30 Filmminuten verzichtete er (für das "Dritte Programm", den damals neuen Kuturkanal des Südwestfunks) auf jeden Kommentar. Bevers Bilder sind fürwahr beredt genug. Kommentare lieferten seine Bilder ebenso wie das sorgfältig registrierte Gerede in den Bahnen. Oder auch ein Hörfunk-Mittschnitt am sehr frühen Morgen aus dem WDR: "...in zwölf Sekunden ist es fünf Uhr fünf".




Und solche Bilder (links und unten neue Ansichten von Philipp Otto Runge?) regten an, ließen mich von nun an eigene Filme machen, zuerst je 45 oder 60 Minuten "Trivial-Literatur" , "Heimatromane". "Der Krimi". "Frauenromane".   1971/1972, teils szenisch. Insbesondere "Heimatromane" auf den Spuren alter deutscher Fremden-Ängste.

Dann fünf Filme aus der größten deutschen, aus der Zwölf-Städte-Stadt Ruhr.



WÖRTLICHES REDEN IN WALSERs RUHR-FILM ("O-Töne"):


Zum Abschluss die Zeit: In fünf Sekunden ist es fünf Uhr fünf. - - - Wenn ich mal tot bin, dann sind die anderen alle schuld - - - Wenn ich verliere, is alles egal - - -  Der Hitler beschreibt das ja so schön in "Mein Kampf", das Buch kann man ja jetz widder öffentlich kaufen - - - Abends verlassen die Geschäftsleute das Revier - - - am Flughafen Düsseldorf/Lohausen - - - Begrüßen wir auch Herrn Oberbürgermeister Nieswandt - - - Dass man was schafft, das bemerkt man nur am Durchflusszähler - - - Musse nur'n Knöppgen drücken. Die Maschinen sind für uns da und nicht wir für sie - - - Wetten, dass du kein Asbach-Cola kriss? - - - Ich wett ummen Schnitzel - - - Eine Nonne hat ihren Mann vergiftet - - - Onkel Lou, der is onnich mehr so gut wie früher - - - Ich hab meine gewohnte Badekappe nich gefunden - - - Die Omma, die hat mir aunich mehr gefallen - - - Und wie iset mit ihrer Verdauung? - - - Du biss ja onnur n aames Schwein - - - alles nur Reine Natur - - - fragt mich der Grenzer, warum ich nich fahre? Ja, dann fahren's doch!




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Erste eigene Produkte auf den Bildschirmen waren ab Januar 1972 ein monatliches "Literaturmagazin", dann die Reihe "Café Größenwahn", jede Folge mit der "Bücher-Bestenliste". Oben eine Bildmontage zu meiner ab März 1975 operierenden Jury der Anti-Bestsellerliste, mridt 30 0der mehr Berufs-Leser.innen, hier kombiniert mit einem Foto beiden Moderatoren ab Januar 1972, mit Dagmar Berghoff für den "Nachrichtenteil", wenig später wurde sie Sprecherin der Hamburger "Tagesschau".

Das kritische "Literaturmagazin" lief mit Film-Einspielungen, meist Eigen-Produktionen.  Seit dem 2. 1.1972 kam es zur Redaktion und Moderation von am Ende mehr als 300 Sendungen,  monatlich  45 oder 60 Sendeminuten. Das sendefertige Produkt war stets, vor jeder Ausstrahlung, der hausinternen Hierarchie vorzuführen, dem Abteilungsleiter, dem Hauptabteilungsleiter, dem Chefredakteur des Fernsehens, oft dem Fernsehdirektor - danach war jedes zweite Magazin zu korrigieren (siehe "Meine Medienmemoiren"). Die Erstsendung am 2.1.1972 begann mit Martin Walser auf einer Müllkippe. Folgt erstene Ausgaben der Edition Hanser, die  Sendung am 28.2.1972 bot Elke Heidenreich (ihr erster TV-Auftritt, wir fanden raus, dass wir jahrelang in Essen im gleichen Gebäude zur "höheren" Schule gegangen waren, sie ins Mädchen-, ich ins Jungensgymnasium). Meine Versuche, tatsächlich Literatur auf den Bildschirm zu bringen, war unter de facto CDU-Aufsicht nicht möglich, galt als politisch. Immerhin, im Mai 1975 kam es zu Thomas Manns hundertstem Geburtstag zu Grundsätzlichem ("Thomas Mann als poltischer Schriftsteller?", mit Marcel Reich-Ranicki, Peter Wapnewski, Martin Walser, Walter Böhllich und mit jungen Politikern. - Am 3.3.1976 kam es mit Alfred Andersch, Iring Fetscher und Jean Amery zu "Der Fall Andersch" (über seinen Text "Artikel 3, 3").

Nach viel internem Zensur-Krach, der zuletzt zum Glück auch stark nach außen drang (auch hier erwies sich als hilfreich die Mitwirkung der zum Selberdenken verpflichteten Jury von gut 30 literaturkritischen Jurorinnen und Juroren),  suchte ich ab 1980 Ruhe in einer neue Sendeform "Café Größenwahn", nun jeweils mit nur drei oder vier Gästen im Studio, mit Autoren, Kritikern, Übersetzern, Herausgebern. Thema war durchweg die seit 1975 monatlich ermittelte und überraschend rasch wirksame Qualitäts-, Kritiker- oder "Bücher-Bestenliste".  Auch "Café Größenwahn" widmete sich mit hartem Pro und Contra den jeweiligen Neuerscheinungen, entdeckte gern aber auch "Übersehenes", erreichte im "Dritten Programm" und zu immer späterer Stunde höchstens zwei Prozent möglicher Einschaltungen - immerhin gut 200 000 eingeschaltete Geräte. Manchmal, hieß es, verfolgten da 250 000 Zuschauer stilistische und auch politisch heikle Erörterungen, also mehr Zuschauer als in Fußballstadien. 10.9.1981 bot Peter Weiß, 1o.1o.1983 Heinrich Böll (beides je letzte Auftritte, so auch bei Erich Fried, dann bei Erich Fromm). 1.12.84 und 5.7.86 mit literarischen Übersetzern, 1985 mit den Zeitschriftenmachern Bender, Wehr, Salzinger, Genazino. Am 5.3.88  über (und mit) Schopenhauer (siehe Bild weiter unten), am 7.5.88 über und mit Buchhändlern, am 28.2.87 "Die ignorierte Freiheitsoper REGINA", am 4.11. und 19.12.89 über den Mauerfall.


Auch "Café Größenwahn" wurde nur im "Dritten" ausgestrahlt (zwei Anläufe ins Hauptprogramm endeten spektakulär, was nicht hausintern blieb), danach kam die Reihe rigoros zurück ins "Dritte" und dort dann mehr und mehr in die Mitternachts-Stunden - die erste Sendung hatte mal um 20.15 h begonnen. Das südwestdeutsche "Dritte" war damals immerhin zu sehen in Köln, Mainz, Frankurt, Mannheim, Karlsruhe, Stuttgart, Freiburg, Basel, Zürich. Tonangebend in der Jury der "Bestenliste" war liebend gern Marcel Reich-Ranicki.  "Warum, Lodemann, machen Sie ein Kritiker-Parlament? Drei oder vier kluge Gäste, das reicht." Eben dies lief ja dann in meinem "Café Größenwahn" - und zwei Jahre später sehr erfolgreich in seinem "Literarischem Quartett".

Die Studios der Reihen "Literaturmagazin" wie "Café Größenwahn" beherrschte ein Bild des Arcimboldo (1527 - 1593), die Figur eines, der tatsächlich, was früher oft zu hören war, "nur noch Bücher im Kopf hat".

Über die "Bestenliste" berichtet außer den "Medienmemoiren" ausführlich das Suhrkamp-Taschenbuch Nr. 2492 ("Die besten Bücher - Die Resultate der ersten 20 Jahre").


Arcimboldos Bild, zusammen mit  "Schrei", einem Objekt des Dichters  Jägersberg.




Stimmt ja, das lief oft unverschämt, nämlich selten unterhaltsam für Leute, die nun abends im "Dritten" nach den Nachrichten mit noch seltsameren Leuten konfrontiert wurden als schon durch "Tagesschau" oder "Heute".

Beide Reihen riskierten auch Populäres, Quiz mit den Zuschauern, dann gar eine "Bestenliste der Zuschauer". Prompt favorisierten die das letzte Buch des Erich Fromm, den ich kurz zuvor noch mal hatte interviewen können, den 80jährigen,  12 Stunden vor seinem Tod.


Unten ein Auftritt Arthur Schopenhauers durch Gerd Westphal, der dem Reporter vor Brenners Parkhotel in Baden-Baden nichts anderes antwortete als authentische Schopenhauer-Verdikte über Gott und die Welt und Universitäten, sorgfältig ermittelt von Gerd Haffmans.

 



Die Grundsatzdebatte mit den Ton-Angebern der Jury im Mai 1975 "THOMAS MANN als politischer Schriftsteller", eine Debatte zu seinem hundertsten Geburtstag wurde im Lauf der zwei Stunden zum Rede-Duell zwischen Reich-Ranicki und Martin Walser, vor allem um die Frage, wie weit seine Romane "wirklich politisch" gewesen seien. Ein Jahr später erschien Walsers Erzählung „Jenseits der Liebe“ (über einen handfesten Fall von Profitwirtschaft), die Marcel Reich-Ranicki verriss unter dem Titel „Jenseits der Literatur“. In Walsers nachfolgenden Buch "Ein fliehendes Pferd" fehlten Existenzkampf und Profitgier, das bot Freizeiten am Bodensee und fand des Großkritikers massives Lob - und umgehend die Gunst der Zuschauer.

All solche Ereignisse trieben mich endlich raus aus den Studio-Engpässen, zuerst, mit guten Kameraleuten, ermutigt durch die Ruhrbilder des Horst Bever, zu fünf Filmen über die Zwölf-Großstädte-Stadt Ruhr, von Baden-Baden aus in die größte deutsche, in die Ruhrstadt.

Essens Hauptstraße, Die Kettwiger (16.11.1985)

Uns fragt ja keiner mehr, Alte am Rande des Ruhrgebiets (1989)

Altlasten. Vom Verschwinden einer Arbeitswelt (1.5.1989, 1.Programm)

Der Gaukler als Arbeiter. Intendant Heyme in Essen - der Mann mit dem Tanzschritt (15.5.1987)

Borbecker Jungens. Arbeitersohn Dr. Ernst Schmidt (1986)


"DIE  HAUPTSRASSE" beginnt düster, schmuddelig, hässlich und wirr. "Typisch Ruhr?" fragte der Kommentar. "Alles, was Sie bisher sahen, waren Bilder aus dem Weltbad Baden-Baden." Folgen dann  entzückende Waldhügel, sonnige Villen, Wasser und Parks zum Satz 1 von Mendelssohns Italien-Sinfonie. "Und dies nun, so meinen Sie, war "richtiges" Baden-Baden? Es war die Mitte des Ruhrgebiets. Essen."


Und wieso faszinierte mich ein Thema wie IM STEINTAL? Wegen Oberlin? An dies Thema kam ich durch den Älteren meiner kleinen Söhne. Der erzählte von einem "schönen Ausflug" in der Schule. Die Staatsschule hatte den lebensfrohen Kerl unter Druck gesetzt, er kränkelte. Weil es in Baden-Baden keine Waldorfschule gab, waren wir in die Karlsruher Waldstadt gezogen und halfen dort geholfen, eine "freie" Waldorfschule zu gründen - immer abhängig, fand ich, von guten, nämlich von freien Lehrern. Seitdem musste ich zwar täglich zum "Dienst" die fast 50 km nach Baden-Baden, aber die kleinen Kerle fanden die praxisnahe neue Schule toll. Nun erzählte Ben, der Ältere, von den Vogesen und vom armen "Steintal", und wir dort ein guter Pfarrer gegen alle Vorschriften eine "prima Schule" begonnen hätte, in der man alles lernen könnte, mit Holz arbeiten, mit Steinen, mit Erde und und und der Lehrer, der hieß Oberlin. Das zündete. Mein erster Film im "Ausland", man musste von Karlsruhe oder Baden-Baden nur hinüber nach Frankreich, ins Elsaß - mein Wunsch, einen Film über das Steintal zu machen, wurde erfüllt, mit Kameraleuten drehte ich im Sommer und vor allem im Winter, denn im harten Januar beginnt ja auch, woran Georg Büchner sich erinnert und womit sein Fragment "Lenz" startet: "Den (20. Januar) ging Lenz durch's Gebirg - - - "


 "IM STEINTAL". 60 Minuten In den Vogesen, auf den Spuren von Büchner, Oberlin und Lenz. "Mit Anmerkungen über Goethe, Gott und die Germanisten" , so lautet der Untertitel. Auch auf dem TV-Schirm: Textkritik. Sozialarbeit.



Allabendlich westlich Freiburg die letzte Sonne, hier exakt zwischen Vogesen und Kaiserstuhl - die Vogesen-Silhouette links hinten, rechts davor der  Vulkanbuckel "Kaiserstuhl", erdgeschichtlich zuletzt aufgestiegen - im Rheingraben zwischen Vogesen und Schwarzwald, seit gut 900 000 Jahren vor Freiburg.








Über dem Vogesen-Hochtal mit dem Namen "Steintal":

 


























 

"Columbus: In Galway sahen wir Bemerkenswertes" (90 Min., 1988). Der Titel ist wörtlich  eine Notiz des Amerika-Entdeckers, die er handschriftlich und lateinisch hinterließ in einem seiner Reisebücher: "Multa notabilia videmus in Galway".

Galway, an Irlands Atlantikküste,  Europas westlichste Stadt, wurde nicht umsonst 2020 "Europas Kulturhauptstadt". Hier gelang es vorübergehend, dass irische Leute und englische Kaufleute  erstaunlich lange kooperieren konnten, dass aus einem Hafendorf eine denkwürdige Stadt am Atlantik wurde, eine Stadt der starken Frauen, aber auch der ältesten Geschichte des Wortes "Lynch-Justiz". 90 Minuten, ein Film mit Sängern, Dichtern und Gauklern und mit John F. Kennedy. (Siehe dazu auch das letzte Interview mit Erich Fromm in der Start-Rubrik "Gegen Drachen").

Unten: Westküste der westlichsten Insel Europas, vor Irland, vor Galway.


















Und nie kümmerte sich mein vermeintlicher Schreib- oder Film-Trieb um die Verehrte, die hier - in Anatolien -  raumgreifend und klar umgeben ist von ehrenswert ehrenden Bauwerken.




"DIE BAGDADBAHN. Zugfahrt durch unbekannte Türkei". (60 Min., Kamera Horst Bever, 27.11.1987)

16 mm, im nächsten Jahrtausend auch vorgeführt  in der Türkei , diskutiert in den Universitäten in Ankara und Istanbul. Der Film zeigt die Strecke von Istanbul quer durch Anatolien und  über den Taurus bis zur syrischen Grenze am Euphrat. Der Bahnbau bis Bagdad war ab 1900 eine der Provokationen, die zum ersten Weltkrieg führten. Der Film wurde zu einem oft wiederholten und oft gelobten Dokument. Siehe hier unter "Bücher" das Filmtagebuch "Bagdadbahn" und "Gegen Drachen." (2017). Der Bagdadbahn-Film lief 2015 in der Zentralen Uni in Ankara und in der Uni Hacettepe in Istanbul, jeweils mit lebhaften Debatten - auch über Autokratie und Kolonialismus.




"AMERIKA ÜBERM ABGRUND. Erdbebenland Kalifornien. Weltuntergang Weltanfang".






90 Min, 1989 oder auch je 45 Minuten 23.10.1989/30.10.1989 ("Weltuntergang Weltanfang"). 16 mm. Die Amerikaner und ihr Sankt-Andreas-Spalt.  Schon diese minimalen Fotos (Kopien aus dem 16-mm-Film) mit der Erdbebenstadt San Francisco, sie zeigen den kühnen Optimismus der Bauherren über dem Erd-Riss.

Oben in der Wüste Carizzo, der die Stadt zerriss und den Tenor Caruso nie wieder singen ließ in Friscos Opernpalast. Trotz Totalcrash und Stadtbrand 1906 sieht man auf dem 16-mm-Foto fünfzig Jahre später übereinander sechs verschiedene Verkehrs-Ebenen, die oberste, die Oakland-Bay-Bridge, mit Doppel-Ebene. Kurz nach diesen Aufnahmen zerkrachte 1989 in einem Beben von den sechs wichtigen die wichtigste, Autos stürzten in die Bay. Der Film musste in größter Eile nachts fertig geschnitten werden, kam ausnahmsweise "ins Erste".



"SAMOTHRAKE". 45 Min., Film  16 mm, 1990. - Ein Sommer, ein Winter auf der Insel am Anfang von Europa. Mit der berühmten kopflosen "Nike von Samothrake", Schlussbild:




"SPIEGELGASSE ZÜRICH".

45 Min, 4.10.1991, 16 mm-Film für die Reihe “Menschen und Straßen”. Die Gasse ist 300 Meter lang, oft kaum zwei Meter breit, war 1916 Gründungs-Ort für den “Club Voltaire” und für die Sprach-Erneuerung DADA.

War Wohnort von Büchner und Lenin, von Lenin, bevor er die Sowjetunion erfand. Lenin, so zeigt der Film, wohnte neben Georg Büchners Sterbezimmer. In der Spiegelgasse wohnten auch Johann Kaspar Lavater, Goethe, Gottfried Keller, Robert Walser, Peter Weiss. Man hört -  und sieht - das tolle DADA-Manifest.  Otto Jägersberg improvisiert in Fenstern mit Überblick die Themen Joyce, DADA und Spiegelgasse. Eine langsame Vorbeifahrt an einem Schaufenster verwandelt eine rote Lenin-Skulptur in eine grüne.

Der Film bleibt ganz ohne Wort-Kommentar, bleibt Bild-Ton-Zitat-Montage.




"ALEXANDRIA. DIE DREIFACH VERSUNKENE".                                            

45 Minuten, 16 mm Film, 6.10.1991. Die Stadt der Feldherren: Caesar, Napoleon, Montgomery. Größte Stadt am Mittelmeer. Interview des Michael Lüders mit dem Papst des ägyptischen Christentums und mit einem Imam über die Frage, warum Männer und Frauen getrennt beten (nur die Männer in den Moscheen). Danach Gespräche mit eleganten älteren Ladies über Ägyptens "prachtvolle" (englische) Männer in den 20er und 30er Jahren des 20.Jahrhunderts und "im Krieg". Der Film zeigt ausführlich den nun zerfallenden Glanz jener Jahre (europäischer Kolonialherrschaft), stimmungsvoll geschnitten auf  Musik dieser "goldenen Zeit" .











































In Alexandria auch ein Papst - für die Gläubigen DER Papst (unten):

Oben Baba Genuda, koptischer Papst in Alexandria, beim  Interview. Kopten berufen sich auf das Markus-Evangelium
















"KLUMPEHENNNER".

Historisches Szenario über die erst relativ spät gelungene "Badische Revolution". Erst 1918 gelang sie, nicht etwa schon 1848. Magazinbeitrag für Georg DuMesnil im Regional-TV des SWF 1991.






Zum Glück half mir vor den Kameras fühes theatralisches Üben, dazu hier ein Bild vom Abiturs-Spiel 1955 in Essen. Im Spiel "Der Verlorene Sohn", vom Deutschlehrer bibeltreu gedichtet, sollte ich einen "Wucherjakob" geben. Ja, "Wucherjakob"  nannte 1955 der Dichter die Rolle dessen, der (laut Bibel?) den verlorenen Sohn ausgeplündert habe.














"IZMIR oder Flieg mich zum Mond"

45 Min, 16 mm, 29.11.1992. - Am Hafen von tausendundeiner Stadt Izmir reitet Atatürk voran gen Griechenland, seinem Finger folgten viele.


Unten ein Bild aus dem antiken Ephesus neben Izmir. Im nächtlich antiken Theater von Ephesus exekutierten Frankfurter Musiker nächtlich und stimmgewaltig - auch für unseren Film - Orffs prachtvoll eindringliche "Carmina Burana". 

Der Film bietet aber auch Blicke auf den heute stinkigen Ort an dem Fluss mit dem Namen "Mäander". In dessen Tal, heißt es, habe vormals der blinde Homer gelebt und gedichtet.




Neben Izmir:  Ephesus. Die Bibliothek




"SIEBEN ZWERGE SALEM".

30 Min., 20.1.1992. Eine andere Drogentherapie. Wie die Antroposophen Sucht zu heilen suchen.



"BORNHOLM".

Archaische Gegenwart auf Granit. Die Insel hieß althochdeutsch Burgundarholm,  "Insel der Burgunder".

Filmporträt der Insel und ihrer Musiker, Fischer,  Künstler. 1993


"DESERT WIND".

Für SWF und ARTE. 90 Minuten Bahnfahrt, 1993. In Frankreich 7 Prozent Einschaltungen, damals Rekord, zum ersten Mal mit E-Kamera. - Fahrt über die Rocky Mountains von Denver bis Salt Lake City, Finale auf dem oder im Salzsee.

In der ersten Hälfte durchs oberste Tal des Colorado. Durch Goldgräbersiedlungen und durch die Regionen, in die sich die von den Europäern verfolgten Indianer geflüchtet hatten - Utah und Cheyenne.









DENVER





"RHEINFAHRT".

Vom Rheinfall bis zum Drachenfels.                 

90 Min., 16 mm, 1994 (SWR).


Per Kahn und Bahn. Die ersten 2 Minuten  des Films sind hier abrufbar - (siehe unten, neben dem auffallend grünen Haar der Undine, einfach anklicken), geschnitten sind die beiden Minuten zu authentisch präziser Musik die komponiert wurde kurz vor 1848 für die "romantische Zauberoper Undine" (Lortzing schrieb 1848 seine Arbeiter-Oper REGINA), der Ton wechselt abrupt zwischen sehr laut und sehr leise, am besten also laut stellen, sonst verpasst man beste Momente

Im Kieskahn rheinab,  an Frankreichs "Ostküste", auf dem Rhein. Links vom Kieskahn wäre jetzt das Atomkraftwerk Fessenheim zu sehen gewesen. Damals wollte ich den "hässlichen Schuppen" ignorieren - den Fehler hab ich später wieder gutzumachen versucht mit der Novelle "Fessenheim" (siehe "Bücher"). Von jedem am Atomkraftwerk Fessenheim vorüberfahrenden Kahn sieht man in Steinwurfweite, was seit 2012 das Buch-Cover "Fessenheim" zeigt (siehe BÜCHER).



Der Kieskahnkapitän erblickt die große Konkurrenz.


Kurz drauf im Film Straßburgs Wasserstraße, die Burgen, die Industrie (IG Farben), der Drachenfels

Unten rechts das Haar der Undine, das sieht man im Film glasklar, sieht man elegant bewegt hinter, zu finden hinter dem Kaiserstuhl, von alten Strömungen bewegt im Altrhein "Taubergießen", das geift da umher in langsam elegischem Schwung. - Die Fotos  sind alle aus dem Film "Rheinfahrt" bzw. aus dessen ersten zwei Minuten








Die 2 ersten Minuten von RHEINFAHRT (Ton laut!) :


Rhein2.mpg (31.95MB)
Rhein2.mpg (31.95MB)



(Im Anschluss an diese ersten zwei "Rheinfahrt"-Minuten (Ton laut stellen!) sieht und hört man hier gut 60 Minuten meines persönlichen Vortrags in Freiburgs Literaturhaus im Frühjahr 2021 (soeben 85 geworden, ein unter Zeitdruck und unter Pandemie mit vielen Lese-Fehlern verlesener erster Versuch, im Vergleich der Siegfriede, des Siegfried im Nibelungen-Epos mit dem in Wagners Texten zum "Ring des Nibelungen", der letztere nur noch zu erklären als fatale deutsche Leitkultur, als Opernweltkrieger vor den dann tatsächlich folgenden realen Kriegern 70/71, 1914-1918, 1939-1945)



"JUIST". Zauberland vor Deutschland.

45 Min, 16 mm, 1994. Im Winter, im Sommer. Im Frieden, im Krieg. 




"EROICA PLACE KLÉBER STRASBOURG"   

Für SWF und  France III,  noch mal auf 35 mm-Film, 1994, 60 Min. Geschichte und Gegenwart des zentralen Platzes in Straßburg. Leben und Sterben des riesenhaften Napoleon-Generals und Kunstfreundes Kleber, des Elsässers mit dem Beethoven-Haupt, der für Napoleon Schlachten gewann (und der nach Beethovens Korrektur seiner "Heldensinfonie" der wahre Held seiner "Eroica" wurde). Kleber, kurz bevor ihn am Nil ein Ägypter ermordete, hatte seinen Chef Napoleon vor ein Kriegsgericht stellen wollen, weil Napoleon seine Truppen im Orient im Stich gelassen hatte, um in Paris Karriere zu machen als Kaiser. In einer letzten Schrift bezeichnet Kleber Napoleon als "Deserteur". Die sterblichen Reste des Straßburger Generals werden im Film vor laufender Kamera freigelegt und tatsächlich entdeckt, und zwar unter seinem Denkmal in der nach ihm benannten Mitte von Straßburg, unter dem "Kleberplatz".






"DIE RUHR"

Deutschlands schönster Fluss.

So hieß meine letzte Film-Idee. Am ersten April 1995 jedoch konnte ich - nach 30 Jahren - die nervige "öffentlich-rechtliche" "Anstalt" endlich verlassen, "im gegenseitigen Einvernehmen" , ein System, in dem Literatur im Grunde und nachweisbar nicht sendbar war - das arbeitete und wirkte in der Tat wie eine "Anstalt".


"Schwarze Lene" überm Baldeneysee, seit 1936 wöchentliches Essener Spazierziel der Lodemanns (10 Fußminuten),

einst Reit-Ziel des Alfried Krupp

Ruhr im "Bergischen Land", verlockend, auch an trüben Tagen







1968 (Foto Horst Bever und Martin Walser  -  vgl. Anfang dieses Kapitels "Film")




Seitentäler der Ruhr. Die Forscher sind sich sicher, das Bild unten zeigt es, in diesem Seitental ("Muttental", hinter Zeche "Nachtigall") hat er einst begonnen, der systematische Abbau von Steinkohle. Und - - -

 - - - und bin mir am Forschungs- und Lebens-Ende sicher, wer das war, der hier früh abräumte und befeuerte und schmiedete. Und erkannte und befriedete.


Winter in Dortmunds Zechen-Museum