Hier "weile" ich aufmerksam an der Endhaltestelle "Vauban". Über Freiburgs "Vorbild"-Stadtteil Vauban entstand gerade ein Freiburg-Roman ("Salamander"). Aus dem sanft kosmopolitischen Ort in Europas geographischen Zentrum, aus dem komme ich immer wieder sehr gern zurück in die größte deutsche Stadt – Berlin? In die Zwölf-Großstädte-Stadt mit den mehr Einwohnern und mehr Opernhäusern, in eine Städte-Stadt, gleichfalls übervoll mit Geschichte. Mit Industriegeschichte, klar, aber auch mit uralter Kirchen-, Handels- und Kapitalgeschichte, ob Duisburg, Dortmund, Bochum oder Essen.
In Essen zieht's mich aus dem Hauptbahnhof sofort hinunter in die Fußgängermeile „Kettwiger Straße“, das läuft da von allein, geht nach Norden bergab, angenehm schlendert sich das, macht Stimmung, ich will ins Kino, zum Buchhändler, ins Grillo-Theater, streune gut gelaunt dahin und -
- und dann immer diese Sperre. Blockade. Aus, Schwung kaputt. Stimmung weg. Luft anhalten. Nein, rußig düster ist es hier ja schon lang nicht mehr. Mitten in der größtern deutschen Städtestadt hat die Atmosphäre anderes zu ertragen. Altlasten. Im innersten und ältesten Punkt des "Ruhrgebiets" mit seinen mehr als fünf Millionen Bewohnern, da thront vor dem tausend Jahre alten „Burgplatz“ auf breitem Sockel eines dieser Reiterstandbilder, grünspanig. Auf hohem Ross spreizt sich da eine altbacken stramme Pathosfigur mit all dem, was Bildhauer- und Theaterkunst mal für imposant hielt und was nun zeigt, warum Ruhrleute so treffsicher die Wendung nutzen „den dicken Wilhelm makieren“. Genauer: den "Willäm".
„Willäm“ sagen sie hier,und „maakieren“. Na lass ihn doch, den Kaiser, könnte ich mir sagen, tiefer hängen, nicht mehr akut, der alte Rauschebart und mörderischer Weihnachtsmann hoch zu Ross, schon um 1900 gehörte der halt zu dieser Konsumstraße, lass ihm seinen Prunk aus Kaiser-Opern, das meldet Preußenzeit, Epoche der Patriarchen, zum Glück vorbei, bleib gemächlich, lässig.
Ihn zu "lassen", das ist hier aber nicht ganz einfach, denn an diesem Punkt vor dem "Burgplatz", da wird in aller Idiotie ein Blick versperrt auf einen Platz, der sehr viel älter ist als tausend Jahre. Ein Blick zum Beispiel auf eine lupenrein romanische Fassade (man sieht sie am Schluss dieses Textes), romanisch wie beim Dom zu Aachen, in der Stadt des Karl, des Kaisers der Franzosen wie der Deutschen. Und sperrt mit seinem dicken Gaul zugleich die Sicht auf ein anderes Glaubensgebäude, auf ein gleichfalls einzigartig standhaftes, auf eine große graue Kuppel, auf eine "Moschee" der Juden.
Beim letzten Besuch hatte ich mir einfach eine Leiter mitgenommen. Denn der da oben reitet nicht nur raumgreifend, sondern auch so hoch, dass ich ohne Leiter nicht da hinauf kann. Aber ich wusste Tatsachen, die ein Geschichtsunterricht, wenn wir denn doch noch irgendwelchen bekommen, gern weg lässt. Der da oben, der zerschlug den frühesten deutsche Demokratie-Versuch. Ersten Versuch mit den Grundrechten. Und nun ehrt meine Stadt diesen Totschläger noch immer. Dieser gemütliche hohe Herr lebte von 1797 bis 1888 und konnte verlogen und brutal verhindern, dass den Deutschen fast schon hundert Jahre früher gelungen wäre, was sie erst nach 1945 notgedrungen denn doch zu formulieren hatten als „Grundgesetz“, ihre Verfassung mit der berühmten „Würde des Menschen“ - nicht der Würde des adeligen oder des deutschen Menschen, nicht des christlichen, jüdischen, bayerischen oder moslemischen, sondern mit der „des Menschen“.
Als diese radikale Verfassungstat schon hundert Jahre früher möglich war, damals, im Polizeistaat des Wiener Kaiser-Kanzlers Metternich, da war dieser nette Alte dort oben Kronprinz in Preußen, bekam aber von den Berlinern den Namen „Kartätschenprinz“. Kartätschen sind explosive Geschosse, lassen Bleisplitter fliegen, reißen Wunden, zerfetzen Menschen. Im März 1848 ließ der Prinz in Berlin diese Splittergranaten auf Arbeiter und Studenten feuern, was der ersten Hälfte des Jahrhunderts den Namen verpasste "Vormärz" (obwohl sich die Herrschenden viel lieber den Namen "Biedermeier" wünschten). Doch, dieser Kronprinz war erfolgreich im „Niedermachen“ – wörtlich so lautete seine Parole in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848, als Freiheitsbewegte in der Breiten Straße das Preußenschloss hatten stürmen wollen. Nunmehr ist das erneuert. Als „Kulturzentrum“, als "Humboldt-Forum".
Und weil dieser behäbige Herr so tüchtig war im Niedermachen oder Zerfetzen von „Demokraten“ („gegen Demokraten helfen nur Soldaten“), erhob deutscher Blut- und Geld-Adel den nieder machenden Reitersmann 1861 zum König von Preußen. Und 1871, nach dem Krieg (dem „Sieg“!) gegen Frankreich, da riefen Deutschlands Fürsten ihn unter Bismarcks Regie zum Kaiser aus, zum ersten „Kaiser Wilhelm“ eines "Zweiten deutschen Reichs". Sein Sohn wurde dann "Kaiser Wildhelm der zweite", der träumte sich ein teutonisches Großreich, geriet in Weltkrieg Eins und knapp noch unter ein deutsches "drittes Reich".
Wer unser überaus löchriges Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis auffrischen will, muss ein bisschen stochern jenseits unserer verehrten Hochliteratur, zum Beispiel in den Erinnerungen des Carl Schurz, dem es 1849 gelang, sich vor diesem attackierenden Kronprinzen in eine badische Festung zu retten, vor der an den Oberrhein kommandierten Soldateska dieses Wilhelm ins friedliebende Rastatt, um dort gerade noch rechtzeitig in eine fortschrittliche Kanalisation abzutauchen und durch den Rhein zu fliehen, nach Frankreich hinüber, von dort dann in die USA, wo er Innenminister wurde und in seinen Memoiren mitteilte: „Der Befehlshaber der preußischen Belagerer Rastatts war Prinz Wilhelm – später als Wilhelm I. deutscher Kaiser – ein Feind aller freiheitlichen Bestrebungen, der im März 1848 den Befehl gegeben hatte, mit Kanonen auf das Volk zu schießen, der sogenannte Kartätschenprinz ... Wir hatten in Rastatt beste Aussicht, standrechtlich erschossen zu werden.“
In der Tat, wer da 1849 nicht nach Straßburg hatte fliehen können, der wurde "standrechtlich" erschossen. Dieser freundlich schmunzelnde Herr dort oben hat damals mit Kanonen auf uns Untertanen geschossen. Und ungeniert reitet er hier und jetzt immer noch in der Mitte des größten deutschen Stadtgebildes, stählern und unerbittlich nett, tatsächlich, dieser Alte ließ dann auch in Rastatt exekutieren, im schmucken Städtchen zwischen Baden-Baden und Karlsruhe. Gustav Heinemann, ein Bundespräsident aus Essen, der hat dieses Rastatt auffallend oft besucht. Im Freiheitsmuseum dort meldet ein altes Dokument: „30 gefangene Freiheitskämpfer wurden von Standgerichten zum Tode verurteilt und am selben oder in den nächsten Tagen erschossen.“ Präsident Heinemann hat das sehr interessiert, der wollte wissen, aus welchen kruden Anfängen unser erstaunlich kluges Grundgesetz eigentlich hat kommen können. Gute Verfassungen fallen halt nicht vom Himmel, vom Himmel fiel einst massenhaft und in dicken Kalibern „Ein Deutscher Gruß aus Essen“ und kostete Menschenleben, unsäglich viele, stolz darauf waren Krupp und seine Werbegrafiker 1914/18 - siehe unten den "Gruß aus Essen", unter dem Kladderadatschbild.
Leitende Essener Herren ließen den stattlichen Alten dort oben auch nach den Massenmorden weiter reiten über den "Burgplatz", durch die uralte gute Stube der zentralen Stadt. Schon „Kartätschenprinz“, das hörte sich ja fast schmissig an, das klang nach Klatschmarsch und Schnädderängtäng. Und Wilhelm, damals, 1848 und 1849, da war der doch nur erst ein „Prinz“, oder? Bloß eine Jugendsünde? Nein, als er in Berlin gegen Freiheitsbewegte nachweislich das Wort „Niedermachen“ kommandierte – mehr als 300 Opfer liegen dort auf dem Friedhof der Märzgefallenen – da war dieser Wilhelm älter als fünfzig.
Augenzeuge Varnhagen, Ende März 1848 in seinem Tagebuch: „ ... trat der Prinz von Preußen vor und redete die Soldaten heftig an: „Grenadiere, warum habt ihr die Hunde (da meinte er die Freiheitsbewegten) nicht niedergemacht!“... Entschiedene Meinung aller Zeugen war, dass von Prinz Wilhelm der Angriff auf das Volk ausging, weil er ein Gemetzel haben, weil er Schrecken verbreiten wollte... – 27.Juni 1849: In der Gewaltsamkeit und im Hohne gegen das Volk sind sich die Regierenden einig. Der Prinz von Preußen führt jetzt in Baden einen Feldzug mit 80.000 Mann gegen 20.000 deutsche Brüder, die Freiheit wollen.“ Und wenig später: „13.August 1849: In Baden neue Erschießungen. Nun doch Biedenfeld. – 14. August: Tiedemann erschossen und, wie alle, mit größter Standfestigkeit gestorben. – 15. August: Major Heidig erschossen, alle sterben mit Festigkeit, noch keiner hat seine freiheitliche Gesinnung verleugnet. – 8. Oktober 1849: Ein herrliches Vorbild, das der Großherzog Leopold von Baden all den deutschen Fürsten bietet, die sich gegen ihre Unterthanen der preußischen Hülfe bedienen. Großherzog Leopold ist wohl der kläglichste. – 12.Oktober 1849: ... Und so fährt man fort, in Baden zu erschießen. Alle diese Bluthunde, diese Scharfrichter und Schinder, sie heißen Prinzen, Staatsminister, Generale.“
Der zentrale Platz in Baden-Baden heißt heute „Leopoldplatz“, also nach dem "Kläglichsten". Die Einwohner des „Weltbads“ nennen den Platz liebevoll „Leo“. Das Grausige im badisch Paradiesischen? Das Gemütliche im Ruhrgebiet? In der Mitte der Ruhrstadt – 2010 war dies Städtegebilde „Europas Kulturhauptstadt“ – da erschreckt mich jedes Mal dieser Gemütliche. So wie „Bluthunde, Scharfrichter und Schinder“ halt erschrecken. Und hoffe immer, die Essener hätten ihn inzwischen endlich verhüllt oder abtransportiert ins „Ruhrmuseum“. Doch diese bronzene Freundlichkeitsmaske mit wallendem Bart, sie reitet weiter, und nicht nur in Essen, sondern deutschlandweit. Meist auf drallem Tier mit geschweiftem Schwanz, zum Beispiel am „Deutschen Eck“ in Koblenz, da hat man ihn dicht am Rhein bald nach 1945 samt Gaul großartig und kostbar wieder aufgerichtet. Freilich muss er dort nun die Farben der Freiheitskämpfer sehen. Dicht vorm bronzenen Maul seiner Mähre weht da ständig dieses Schwarz, Rot und Gold. Auch vor der großen Eisenbahnbrücke am Kölner Dom darf der Massenmörder weiterhin westwärts streben, der Judenhasser, Franzosenhasser, Demokratenhasser. Zum Besinnungsaufsatz in unseren Schulen gehörte zwar ab und zu die Frage, wie es denn nur habe kommen können zum Völkermord der Nazis, waren die Nazis etwa vom Mars gekommen? Das Rückbesinnen reichte selten bis zu den beiden Wilhelms – „wie bei den Ratten - am besten wäre Gas“ notierte der zweite. Meinte mit Ratten jüdische Mitmenschen.
1909 geographische Mitte des Ruhrreviers: Kruppstählern gesichertes Denkmal für Deutschlands ersten Kaiser Wilhelm
Immer wieder die Hoffnung, ob nicht wenigstens die Essener ihn endlich vom hohen Ross geholt hätten, den „dicken Willäm“. „Volk“ nannte der „Pack“. Und wenn ich in Essen mal wieder so gern bergab schlendere auf der "Kettwiger", der zentralen Einkaufs- und Fußgängermeile, hoffe ich, dass inzwischen ein Platz gefunden worden sein könnte für den Splitterbombenhelden, etwa ein Ort auf altem Abraum hinter dem Welterbe „Zeche Zollverein“ und dort mit unbedingt nötigen Informationen über einen, der durchaus gelten könnte als konsequente Obrigkeit einer nachhaltigen Untertänigkeit. Doch unverrückt hockt er weiter und scheinheilig dort oben, der gemütliche Mörder im Rauschebart, nun noch dichter und parallel zu Essens Hauptstraße.
Folgenlos schrieb Joseph Rovan, Historiker an der Sorbonne, in seiner „Geschichte der Deutschen“: „ ...vertrieb 1848/49 der König von Preußen das Abgeordnetenhaus. Auch die Aufstände in Baden, im Rheinland und in Sachsen erstickte er mit seinem preußischen Heer. In der Festung Rastatt ließ er Gefangene erschießen. ... Und am 18. Januar 1871 proklamierte Großherzog Leopold von Baden in der Versailler Spiegelgalerie ihn, den preußischen König Wilhelm, zum deutschen Kaiser Wilhelm I. ... Da verschwand dann die schwarzrotgoldene Fahne der Volkssouveränität vor den schwarz-weiß-roten Farben von Militär, Fürstenmacht und Hochfinanz ... Der Traum der 1848er, der Traum vom guten Zusammenleben der Völker, diese Vision, sie wich allseitigem Nationalismus.“ – Und ich verlor meine Geduld. Stellte mich mit entschiedenen Wörtern unter das mehrfach mannshohe Mahnmal, mit dem Wort „Demokratenmörder“.
Essener Freunde hatten mich gefragt, wie ich denn träumen und mir wünschen könne, dieser stählerne Typ da oben im dekorativen Grünspan, der könnte je aus Essens Zentrum verschwinden, da hatte ich gekontert, wenigestens einfach mal weg denken, das funktioniert. Und siehe, der Eschen-Ort Essen erwies sich als verwirrbar. Plötzlich hielten neben mir in der Fußgängerzone Streifenwagen. Drei Streifenwagen. Was machen Sie hier? - Nichts weiter, als über diesen hohen Herrn ein bisschen informieren. - Das nannten sie „Beschädigung eines Denkmals“, das lasen sie mir vor aus einer Notiz. Erst als die Ordnungshüter sahen, dass am Burgplatz niemand war, der, wie Anrufer ihnen gemeldet hätten, was kaputt machte – höchstens eine Mär – , da ließen sie ihre Handschellen ungenutzt. Sagten aber, ich hätte das Versammlungsgesetz missachtet. „Wie bitte? Ich "versammele" mich hier? Weit und breit bleibe ich doch ein Einziger“. Da notierten sie meine Personalien. Und erstatteten Anzeige. - Die war dann aber, nach zwei Jahren, „gegenstandslos“.
In das Kohle-, Stahl- und Arbeiterrevier, in diese Zwölf-Großstädtestadt Ruhr kam keine Universität, keine Freiheit von Kunst, Denken, Wissen. Auch da waren sie sich auf Anhieb einig, die Kaiser und die Krupps. Alfried Krupp konnte früh in der „Waffenschmiede des Reichs“ Gusstahl so spezialisieren, dass sein Stahl nicht nur für Schienen und Bahnräder tauglich wurde, auch für Panzerplatten und Kanonen. Weswegen die Wilhelms die Krupps in Essen auffallend oft besuchten und einträgliche Aufträge bekamen, worüber Stahl- und Kaiser-Familie echte Freunde wurden und die Stadt dem Monarchen „mit´m Bart! mit´m Bart!“ dieses prächtige Reiterstandbild errichten ließ, „in Dankbarkeit“, damals, 1898, mitten auf dem zentralen und tausendjährigen „Burgplatz“. Und nie schickte aus seinem ersten Jahrtausend Stadtgründer Sankt Ludgerus irgendeinen Kugelblitz. Und auch die RAF (also die Royal Airforce), sie sprengte 1942 bis 1945 mit all ihren Bomben nie die bronzene Pracht.
1918, als Wilhelm Zwo „in’ Sack gehauen“ hatte und in Holland Holz hackte, rückten die Ruhrstädter die Ehrung des blutigen Mannes aus der Platzmitte an den Rand, hart nach vorn, dicht heran an die stets belebten "Kettwiger Straße", "Konsumwalze" nannte die der Theaterleiter Heyme. Erhoben Kaiser Wilhelm den Ernsten ins Erhabene neben dem prächtigen neuen Großkino „Lichtburg“, und zwar so, dass, wer seither vom Hauptbahnhof die leicht geneigte Ebene hinabstreunt und das Riesenkino passiert (mit 1700 Sitzen ständig Uraufführungskino), so dass solch ein Passant hinter dem hohen Sockel und Gaul und der hohen "Lichtbug"-Ecke anfangs weder den uralten Burgplatz erblickt noch Essens mehr als tausendjähriges romanisches Münster mit geretteter romanischer Westfassade (siehe das Bild unten) noch die enorm hohe graue Synagogenkuppel, die so massiv ist, dass sie die „Kristallnacht“ und die Bombennächte von Weltkrieg II überleben konnte. Die freie Sicht auf all dies ist seitdem erst mal weggeblendet von der mehrfach menschenhohen Denkmalswand. Oben drauf hockt nach wie vor der gemütliche Freiheitsfeind und mordende Kronprinz. Wie wunderbar stünde hier jetzt – ohne Hochsockel, ohne Sichtblende – einer wie das kluge Staatsoberhaupt Heinemann aus Essen, der daran erinnerte, dass, wer den Zeigefinger auf andere richtet, mit mindestens drei Fingern auf sich selber zeigt.
Zum Gustav Heinemann würde dann gut ein Wort passen aus dem Jahr 1844, zum weisen Rastatt-Kenner fügte sich dann bestens ein Wort des jüdischen Dichters, nebenan in Düsseldorf geboren, des Heinrich Heine. Vier Jahre vor 1848 schrieb der so, als redete der von Paris aus zu den kontrollgelähmten Deutschen im zähen Metterichstaat: „Macht die schwarz-roth-goldene Fahne zur Standarte des freyen Menschthums. Mit der Erklärung der Menschenrechte als zehn Geboten des neuen Weltglaubens.“ Dieses hinreißend treffende Heine- und Heinemann-Wort stünde dann fast vor der tausendzweihundert Jahre alten Westwand des Essener Münsters.
mit 19
SCHÖNHEIT und heilsame Kenntnis vom Punkt der Punkte
Immer neu funkelt ja die alte Erkenntnis vom pars pro toto, wonach eine Einzelheit Teil eines Ganzen sei, auch ein schlanker Leib, auch ein Schenkel, auch die entblößte schöne Brust erzähle von viel mehr. Davon weiß womöglich auch der hier weiter unten abgebildete, dieser offensichtlich bei erotischer Arbeit überraschte Herr. Denn auch dieser schnuppernde Mann im schütteren oder zweifelhaften Blondhaar, der lässt über dem, was da unterm huschenden Pelz-Weiß blitzt, funkelt und lockt, das Andere keineswegs aus dem Auge, sondern beginnt mit gut begreifbarer Neugier das Ganze zu erkunden, und hält schon wieder, Erforschungen hin oder her, seitwärts Ausschau –
Die Schöne, der sich der Blondling zu widmen scheint, ist Eurydike, diese sagenhafte Rolle spielt sie jedenfalls in der hinreißenden Inszenierung von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, die mehrere Jahre im Essener Opernpalast Aalto („Europas Spitze“ meldete der „Spiegel“) in der Regie von Dietrich Hilsdorf das Publikum immer neu begeistert, in ausverkauftem Haus. Die Schöne ist nämlich nicht nur, wie das Probenfoto belegt, von exzellenter Gestalt, sondern die hier realisierte Antiken-Traumfrau Eurydike heißt im bürgerlichen Leben Astrid Kropp und ist geborene Duisburgerin und fasziniert nicht nur leibhaftig und körperlich ganzheitlich, sondern ebenso mit ihrer Stimme, mit einem Sopran-Organ von überzeugender Gelenkigkeit und Stärke auch in höchsten Lagen – Leib wie Stimme der Frau Kropp zwingen auf Anhieb in die Knie, nicht nur Orpheus und Gott Zeus und blonde Schönlinge.
Diese Sängerin und Spielerin, hier lediglich bekleidet mit den Vortäuschungen eines Pelz-Imitats und mit schwarzen Strümpfen und Handschuhen, bezaubert endgültig durch die Art, wie sie sich bewegt, schon wie dieser hohe und schlanke Leib zu gehen weiß. Zu Frau Eurydikes oder Astrid Kropps Gang rangen sich selbst heutige, also überaus kritische Kritiker ein antikes Prädikat aufs Papier, eine altromantische Vokabel – ihr Gang sei "göttlich", so teilten sie's uns mit. Die auf solche Weise spielende und singende Astrid Kropp ist nicht nur als Schauspielerin und Sängerin hervorragend, sondern in gleicher Weise als Tänzerin, auch bei höchsten Ansprüchen des klassischen Balletts – nicht ohne Grund verehrt hier der Blondling mit Lippen und knieender Devotion ihre schönen Schenkel, die Frau Kropp ohne weiteres in verwirrender Geschwindigkeit und atemberaubend senkrecht in die Höhe werfen kann, nämlich immer dann, wenn in Offenbachs Unterwelt der berüchtigte Höllengalopp ausbricht und lostobt, jener hemmungslose CanCan, dieser Rock and Roll der Romantik, dieser vorweggenommene Disco-Wahnsinn der Belle Epoque.
Man weiß, im antiken Mythos muss am Ende diese Schöne in die Hölle, muss Euridyke hinab in die Unterwelt der Griechen und Römer, und ihr Geliebter, der Sänger Orpheus, ist darüber untröstlich und klagt dann so lange und so bewegend, dass die Götter sich bekanntlich erbarmt haben und dem unsterblich Verliebten erlauben, ebenfalls in die Unterwelt hinabzusteigen. Und was machte daraus Jacques Offenbach und was macht daraus Regisseur Dietrich Hilsdorf? Bei dem ist Orpheus der Konzertmeister an einem der gut zwanzig Pariser Operettentheater um 1870, und in Essen ist das der kraftvoll intonierende und wunderbar verkörpernde und glaubwürdig klagende Thomas Piffka, der zwar ebenfalls die anderen Schönen des spielenden Gewerbes nie ignoriert, aber als Konzertmeister und Ehemann täglich und unermüdlich mit seinem Fiedelbogen über den Leib seiner schönen Ehefrau Eurydike geigt, ja, er streicht seinen Geigenbogen über ihre schönsten Körperpartien, bestreicht hingegeben und am liebsten ihren Busen zu jener schmachtenden Serenadenweise, die man sich schon in Offenbachs Ouvertüre gern gefallen ließ, beharrlich und ausdauernd widmet er sich Nacken, Schenkel, Brust –
– und wie reagiert sie, die „Göttliche“? Sie ist sein Gegeige überraschend rasch leid, absolut leid. Und klagt ebenfalls. Findet ihren konzertmeisterlichen Fiedler längst unendlich langweilig, nein, viel stärker als nach diesem öden Dauertöner verlangt es sie nach ihrer neusten Eroberung, nämlich nach dem hier abgebildeten schütteren Blonden, ohne zu ahnen, welchem Unterweltheld sie sich da ausliefert, denn hinter dessen Bieder- oder Lebemannsmaske verbirgt sich kein Geringerer als der Höllengott selber, ach, unausweichlich naht das Verhängnis und zwangsläufig kommt es im Aufruhr der erotischen Gefühle zu schlagenden Wettern und zur Explosion, am Ende eben zum allseitig tolldreisten CanCan.
Wen wundert’s, dass sich die Essener Orpheus-Inszenierung nicht nur durch das größte deutsche Stadtgebilde herumgesprochen hat, durch die Fünf-Millionen-Zwölf-Großstädte-Stadt Ruhr – im Jahr 2010 wird sie nun Europas Kulturhauptstadt – nein, kein Wunder, dass der Verkauf der Aalto-Karten bei „Orpheus in der Unterwelt“ kaum anders läuft als beim Umsatz an Emil Kasperskis Frikadellenbude in der Fußball-Halbzeit in Dortmund oder Gelsenkirchen. Von weit kommen nach Essen nicht nur ältere Semester und staunen und bewundern und beneiden wieder und wieder diesen Herrn in Blond, im Spiel ist er Feuergott „Pluto“, im Leben ist er der Essener Rainer Maria Röhr, da leistet der bedenkliche Schmeichler wie die übrigen Akteure ein theaterwunderliches Silvesterfeuerwerk. Vulkangott Pluto ist ja in Offenbachs Spiel zwar der Gott der Tiefe und der Hitze, aber in Hilsdorfs Version ist er zugleich der Souffleur eines dieser Pariser Schmierentheater, eines, das längst Pleite ist, hier also hält der Kerl entweder schon wieder Ausschau nach der attraktiven Nächsten, nach dem Star einer besser verdienenden Truppe, oder auch hier hat er mit seinem Blick zurück nur Sinn für die Medien, nämlich für den Typen, der diesen Moment fotografiert, in Hilsdorfs Essener Montage jedenfalls verführt und betrügt ebenfalls Jeder Jeden.
Ein großartiger Augenblick, der einzige stille Moment in dieser wirbelnden Offenbach-„Operette“ in der Zentralstadt des Ruhrreviers, eine wahrhaft ergreifende Situation tritt dann ein, wenn im Hades, wenn sich in der düster rauchenden Unterwelt ein Greis, der einstige „König von Arkadien“, ebenfalls just dieser schlanken Frauengestalt nähern will. Dieser vormals gewiss ebenfalls strahlende Mann und Prinz und König scheint im Schattenreich geschrumpft, der wirkt wie zerfallen, ist in der Essener Inszenierung ein Krüppel, sozusagen nur noch ein Schatten seiner selbst, kaum eine Spur mehr scheint da übrig von Leibesprunk und Mannespracht – da nähert sich also im Aalto-Palast dieser wunderbaren Eurydike der grause Styx, einer, der nur noch als hässlich gilt, ein Zwerg, ein Kranker, ein Gespenst? Und über Akteure wie Zuschauer legt sich die beklemmende Frage, ob also am Ende jeder Held und jede Schönheit und sogar dieser schöne Frauenleib in ähnlicher Weise entstellt sein wird und zerfallen? oder wird auch hier "Hässliches" nur erschlagen, als hassenswert und lebens-unwert wie Zwerg Mime, bei Wagners das erste Siegfried-Opfer?
Da nähert sich nun unter Hilsdorfs Regie der blendenden Frauengestalt der auffallend kleinwüchsige Sängerdarsteller Rüdiger Frank, schleicht sich heran als humpelnder Styx und singt traurig von seinen ehemaligen Herrlichkeiten und Potenzen und streckt dann ebenfalls seine Hand aus nach der erotischen Zauberin, die trotz ihrer Größe zum Glück in diesem Moment für ihn, den Kleinen, den Zwerg, handgreiflich erreichbar ist, weil sie in einem Sessel Platz nahm (ähnlich ließ sich ja auch Wagner gern ablichten, vor allem mit Cosima), der verschrumpelte Kleine kann also mühelos ihre Schulter berühren, ja, er betastet die unendlich schönen Rundungen, tastet sich von dort weiter vor, bewegt seine knochige Hand über Nacken und Hals zum Busen hin, deutlich Richtung Brust – und zögert – in diesen Sekunden wäre unter den zwölfhundert Zuschauern im großen Aalto das Geräusch des fallenden Nagels zu hören gewesen – in einem durch den Lärm vorher und danach um so eindrucksvolleren Augenblick des Schweigens all jener, die ebenfalls irgendwann einmal oder schon ziemlich bald („ach wie bald / schwinden Schönheit und Gestalt“) nicht mehr Prinzen des Paradieses gewesen sein werden oder Prinzen oder Prinzessinnen von Arkadien –
Und so glitzert und funkelt er also weiter, der verlockende Punkt im süßen Nichtgewand der Eurydike und erinnert in seiner Punkthaftigkeit unmittelbar an jenen anderen „Punkt“, um den sich unser künstlich blonder Lebemann kümmern zu wollen scheint, um jenen nämlich, von dem schon der junge Goethe in seinem ersten, in seinem „Urfaust“ wusste (so muss man jedenfalls urteilen nach der Handschrift des Hoffräuleins Luise von Göchhausen, die Goethes allerfrüheste „Faust“-Fassung heimlich abgeschrieben hatte, den „Urfaust“ also, bevor der Meister später die endgültige Version schuf, den „Faust I“), denn da ist tatsächlich zu lesen: „Die Mägdlein, ach, sie geilen viel!“ und da irritiert dann vor allem der Ratschlag von Goethes Teufel an einen ängstlichen Studenten: „Besonders lernt die Weiber führen / es ist ihr ewig Weh und Ach / so tausendfach / aus Einem Punckte zu kurieren.“
„Aus Einem Punckte“, meint das den, den wir hier im Aalto-Licht glänzen sehen, irritierend betörend?
Das hartnäckige alte Gerücht kann nicht stimmen, wonach der größte unserer Poeten erst spät, erst auf seiner Italienreise „die Anatomie des Weibes“ erkundet habe. Welchen „Punckt“ also mag da seinen Mephisto geritten, welches Organ mag er gemeint haben, zumal der Dichter (in der sicherlich buchstäblichen Abschrift jenes Hoffräuleins, der wir die Bewahrung des „Urfaust“ zu danken haben) sein Wort „Einem“ mit einem Großbuchstaben beginnen lässt. Und wenn er die Mitteilung „Punkt“ dann auch noch mit dem auch damals schon ungewöhnlichen „ck“ dermaßen markant betont? Ach, dem puncto punctorum widmete erst vor wenig Jahren eine Medizinerin so viele chirurgische Aufmerksamkeiten wie nie zuvor sämtliche männlichen Meister der Anatomie, und dabei deckte sie auf, dass dem männlichen Protzstück bei den Frauen etwas entspricht, das zwar nur eben punktuell sichtbar leuchten, funkeln und glänzen mag, das dafür aber in seiner untergründigen Ausdehnung derjenigen der Männer gleichkommt und sie sogar übertrifft in iher Leibverbundenheit, freilich subkutan, unter die Haut gehend und offenbar mit ganzheitlicher Ausstrahlung, mit Qualitäten, die nicht nur Lebemänner mit schütterem Blondhaar schon immer verwirrt haben und die offenkundig auch schon vom jungen Dichter in Weimar gewusst und erkundet wurden – nicht nur als Heilungs-Ansatz und Medizin für der Frauen wie Männer „ewig Weh und Ach".
Wie heißt es später bei Tomi Ungerer? "Herr Himpel ist blind, Frau Himpel ist lahm, sie sind alt, sie haben einander. Sind glücklich."
Geschichten, wie nur können und konnten seit je Geschichten entstehen. Wie Wolken? Auf sonnigem Balkon? Dieses rumänische Tierchen, soeben aus einer Bukarester Tötungsmaschine frei gekauft, in Rumänien ONYX genannt (im dtv-Lexikon stehen zu "Onyx" "Halbedelstein" und als Beiwörter "schwarz glänzend" - rumänische Namensgebung korrekt). Deses lebhafte Wesen will mir und der Fotographin jetzt und hier und sofort gleichfalls Lebensfresslust beweisen.
Und dieser Baum, warum der seit nun vielleicht 60 Jahren neben unserem Haus in Freiburg schier quer wächst? Oft sitzen Kinder dort oben im Grün, und erzählen sich was.
Und dann kamen unter dem Querbaum Mädchen daher, ganz offensichtlich zerzaubert
Oder die ungeheuren, die fast zehntausend Verse des Nibelungenlieds? Benötigten die vom Jahr neun (im Teutoburger Wald) bis in unser Heute zwei Jahrtausende, bis all ihre mittelhochdeutschen Wörter wirklich zur Kenntnis genommen werden?
Fatal ist nicht das Epos, sondern das, was daraus gemacht wurde. Als die Handschriften im 18. Jahrhundert auftauchten, wurden sie im Nu aufgeblasen zum romantischen Siegestheater für Deutschland. Dies Wahnsystem hab ich noch erleben dürfen, hautnah , war 1945 neun Jahre, sehe noch die Städtestadt Ruhr im Meer der Hakenkreuzfahnen, höre sofort das Geheul der Redner. Als wir nach der Flucht in Vaters vormaligen Besitz, als wir von diesem Bauernhof bei Celle heimkehrten in die Mitte des zerbombten Ruhrgebiets, verliebte ich mich in ein schönes Nachbarmädchen. Natürlich war ich viel zu jung, eines Tages aber lieh sie mir ein sehr dickes Jugendbuch, mit prächtigen Drachenbildern, das sollte ich lesen: „Deutsche Heldensagen“. Natürlich las ich das. Mit den glühenden Ohren.
So siegreich wie Siegfried, so musste ganz offenbar ein Junge weiterhin werden. "Ein ganzer Mann". Meine Brüder, acht und zehn Jahre älter als ich, auch sie haben Deutschland ja noch unbedingt retten sollen/wollen/sollen. Im April 1945, im Frühlingslicht an der Aller bei Celle in der Heide, da sehe ich noch, wie die Mutter den jüngeren, den 17jährigen Bruder so umarmt, als wollte sie ihn festhalten, den Flakhelfer, der in diesem Augenblick auf ein Militärfahrzeug steigen sollte und wollt, das an die "Ostfront" kommandiert war - Mitte April 1945. „MUSS das denn noch sein?“ fragt sie ihn. Vier Wochen vorm deutschen Ende der Weltkriege. Und ich höre noch jetzt seine Antwort (am 17. März war er 17 geworden) : „Willst du mich an meiner Pflicht hindern?“ Auch er kannte die "Heldensagen", kannte auch den gefälschten Siegfried, gefälscht zum Totschläger als Idol. Sehe ihn davon fahren, bleich, hinten auf graugrün getarntem Fahrzeugmetall. Berlin retten, „den Führer vorm Russen“. "Hitler vorm Iwan". Wenige Tage später brachte der sich um. Dass "wir Deutschen" selber den Krieg entfesselt hatten, war rings um den Bruder und um uns alle herum niemals Thema gewesen, nicht mal eine Frage. Stattdessen "Pflicht". Vaterland, Stärke. Und das von Lehrern wie von Nazis hochgeputschte Phantom Siegfried als hornhäutig unbezwingbar. Beide Brüder überlebten. Haben vom Kampf um Berlin und um die Elbe nie irgendwas erzählt. Nur einmal, kurz vor Mitternacht, der Ältere. "Eins sag ich dir. Werd nie Soldat. Ist Mord."
Jeder Abend über Freiburg leuchtet anders. - Erzählt anderes.
Und manchmal plötzlich Solches bot sich den Bewohnern der Freiburger Innenstadt an einem Morgen des Novembers 1944
und dann doch wieder dieses:
Ein Ausschnitt aus dem historischen Berlin-Bild „Breite Straße 18. März 1848“. An diesem Tag verloren in der Hauptstadt Preußens 303 Freiheitsbewegte ihr Leben. Der Ausschnitt zeigt, wie ihr Aufstand sich gegen das richtete, was erneuert wurde zum „Humboldt-Forum“. In der „Breiten Straße“ kam der zur Welt, der sie 1848 textete und komponierte, die fast unbekannt gebliebene Freiheits- und Arbeiter-Oper „Regina“, eine Robert-Blum-Oper. Das romantische Theater-Vollblut Lortzing, dessen erster von gut und gerne zehntausend Bühnen-Auftritten war 1816 in Freiburg , wo er im Theater beim Münster als 15jähriger laut Stadt-Archiv als Lockenkopf auftrat und entzückend Gedichte aufsagte, "komische und hintersinnige".
Lortzing jung. In Köln, Düsseldorf, Aachen, Detmold, Leipzig - "Liebling der Damen", ehelichte die im Rheinland sehr beliebte Sängerin Rosine Regina, hatte mit ihr elf Kinder. Hatte Hauptrollen in Mozart-Opern, bei Ferdinand Raimund. Größter Erfolg in Berlin als Narr im "King Lear".
REGINA – Freiheitsoper von 1848
In Europas Aufruhrjahr 1848 verfasst ein Berliner Theatermusiker in Wien ein bis heute unbekannt gebliebenes außerordentliches Stück. Mit kompositorischen Mitteln vor Wagner - aber von Weber, von Mendelssohn - dreht sich sein Musikdrama „Regina“ um Themen des 21. Jahrhunderts. Ein Arbeiter in seiner Liebe zur Fabrikantentochter Regina, abgewiesen vom Fabrikanten, setzt die Fabrik in Brand, entführt Regina. Am Ende, mit der Entführten umzingelt von „Arbeitern von allen Klassen“, will er offenes Feuer werfen in ein Pulver- und Munitionsdepot, „dann mag die Hölle jubilieren“, aber in letzter Sekunde trifft ihn ein Schuss aus der eigenen Waffe – abgefeuert von Regina.
Regina hieß Albert Lortzings Frau, mit der er elf Kinder hatte. Mit „Zar und Zimmermann“, „Wildschütz“ oder „Undine“ war er 100 Jahre lang an deutschsprachigen Bühnen der meist inszenierte deutsche Opernmacher. Seine „Regina“ wäre 1848 die erste tages-aktuelle Oper geworden. Sie war fertig, als Europas und Deutschlands Aufruhr zerschlagen war, „Regina“ kam auf keine Bühne. Diese einzige klassisch-romantische Oper mit „Fabrikarbeitern“ in den Hauptrollen, sie beginnt mit einem Lohnstreik, steigert sich zu Brandschatzung und Kidnapping und gipfelt in dem, was heute Terror hieße und Selbstmordterror. Die Botschaft ist die der Paulskirche, des ersten frei gewählten deutschen Parlaments und seines populären Präsidenten Robert Blum. Der, ein wirksamer Volksredner, war Lortzings Freund – 1848 exekutiert, am 9. November von Soldateska, als Lortzing soeben den Schlussjubel seiner Freiheisoper kompnierte und Einigkeit und Recht Freiheit "für alle", auch und vorweg für Arbeiter..
Gleich beim Lohn-Streik wird die „Regina“-Botschaft verkündet von einem Vorarbeiter, der – wie Robert Blum in seinen Reden – Radikale zu überzeugen weiß, Arbeiter Richard jetzt in großem Arien-Ton: „Denn leiden soll kein Mensch auf Erden“ und „Frei geboren sind wir alle“. Lortzing war der erste, der seine Libretti selber schrieb - vor Wagner - schon im Text-Entwurf unterstrich er hier „frei“ und „alle“. Bereits als Sänger operierte er gern riskant, parodierte er auf der Bühne den Zensor, in Leipzig war das ein Doktor Demut. Den trifft man später in „Zar und Zimmermann“, wo Ortspolitiker van Bett ("ich bin nur Poet") die eigene Poesie preist: „Worte voll Salbung, voll Demut und Moral“. Als Lortzing auf Leipzigs Bühne zu singen hatte „Heiterkeit ist meines Lebens Regel“, redete er in die Zwischenmusik hinein, bei ihm heiße die Regel „Demut“. Gelächter, stürmischer Beifall – und Knast. Zurück auf der Bühne empfingen ihn Ovationen, er dankte - und redete schon wieder: „Mehr zu sagen verbieten mir Bescheidenheit und Demut.“ Neuer Jubel, doch Groll der Stadtpolitiker. Die vertrieben Theatermann Lortzing mit seiner großen Familie aus Leipzig, nach Wien. Beim nächsten mal nach Berlin. Wo er in unsäglicher Not endete. In seiner Todesnacht spielten 4 Häuser seine Sachen, hatten nie gezahlt.
Als im März 1848 in Wien keine Zensur mehr lähmte, begann Lortzing, Kapellmeister des „Theaters an der Wien“, seine „Regina“. Gleich zu Beginn sollten seine Streikenden radikal singen: „Beschlossen ist, zu Ende sei / die Knechtschaft und die Tyrannei / wir werden Recht uns jetzt verschaffen / wenn nicht mit Worten, dann mit Waffen!“ Einem Freund schrieb er: „Ich kann ihnen nicht helfen, mein neuestes Opus müssen sie schlucken.“ „Regina“ wurde bis heute nie wirklich geschluckt. Im Oktober 1848 fehlte dem Freiheits-Spiel nur noch die Ouvertüre, da wurde Wiens „Republik“ besetzt von Militär. Noch heute gibt es „Regina“ in keinem Sender, in keinem großen Theater. Unverfälscht kam das solitäre Stück erst 1998 auf eine Bühne, Regie hatte Peter Konwitschny. Das erste Finale extrem dramatisch mit doppeltem Chor und 8 Solisten: „Entsetzen und Schrecken…“ – Polit-Oper von einem Komiker?
1839 tönte Lortzings Politiker in der Zaren-Oper, er wisse „zu bombardieren“ – 1944 irritierte mich das als Kind, im von Bomben ruinierten Ruhrgebiet. Dieser van Bett („ich möchte rasen, ich bins von Amtspflicht ganz aufgeblasen“) tönt wie ein Trump des Vormärz: „Oh ich bin klug und weise … bin ein zweiter Salomo“. Schon der hat Probleme mit Russen, die nennt er „Staats-Geschäfte“. Als Zar feiert er einen russischen Deserteur. Diesen „Feind jeden Zwangs“ konnte 1839 nur einer singen und spielen, ein Mutiger, der Autor selbst, „Hr. Lortzing jun.“ Lortzings Mutter war Französin. In seinem Erstling „Die beiden Schützen“ besingen seine Soldaten Liebe und Frieden. Sein Schulmeister im „Wildschütz“ schießt daneben, die Böcke schießt da der Adel. „Undine“, seine „romantische Zauber-Oper“ beginnt mit „Da lieg, du altes Mordgewehr“ und endet mit Geistervisionen von „ewigem Frieden“. Mit großen Stimmen wäre „Undine“ ein Spiel um die Natur des Mannes als Naturkatastrophe. „Es rast der Sturm, die Mauern stürzen ein / Allmächtiger, du wollest gnädig sein.“ Angemessene Wortwahl: „wollest“. Kurz vor 1848 träumt Lortzings „Waffenschmied“ Konjunktive: „Wenn Rechtlichkeit käme als Waffenschmied… In Sachen des Glaubens kein Streit, DAS wär eine köstliche Zeit“.
Weder Robert Blum noch Lortzing hatten irgendeine Schulung, weder eine Akademie noch einen Lehrmeister. Lortzings Schule war das Theater. Früh plante er mit Blum eine Freiheitsoper: „Die Schatzkammer des Ynka“ – gestoppt von Dktor Demut. Bei Blum und Lortzing siegen am Ende die Ynka, Priester dagegen segnen Raubmord und Erpressung, gewitztes Publikum hätte das übertragen auf die eigenen untertänigen Verhältnisse, könnte das noch heute.
Seine Arbeiter- und Blum-Oper „Regina“ inszeniert nicht Aufruhr, nicht Umsturz, sondern das unendlich Schwierigere: Freiheit. Die beiden sehr konträren Verehrer der Fabrikantentochter Regina sind Verkörperungen von „maßvoll“ gegen „extrem“ („freier als frei“), als agierten da schon 1848 Sozialdemokraten gegen Kommunisten, Jahrzehnte vor den passenden Partei-Gründungen. Hier der „ewige Zweifler“ (wie Regina ihn nennt, denn der singt sowas): „Ich glaube kaum den schönen Traum“ – hierzu die sanft melancholische Melodie, die dominiert schon die Ouvertüre, wogegen sich 36mal der Rhythmus des Freiheitssignals stämmt. Dagegen dann der unbedingte Schwärmer für Regina: „die mich erschauen ließ ein irdisch Paradies“. Der Besonnene dagegen („mit Verstand“): „Es treiben Sturmeswogen nimmer das Schiff gefahrlos an den Strand“, das singt der dreimal. Dagegen die Radikalen, freier als frei: „Hinaus mit jedem üblen Rat, der nie des Volkes Wohl vertrat … hinaus mit jedem, der noch lebt und mit der Zeit nicht vorwärts strebt … der glaubt, es fang beim Edelmann nur eben erst der Mensch sich an … hinaus mit Stock und Reisesack das ganze Jesuitenpack!“ Die Radikalen überfallen Reginas Verlobungsfeier (mit dem Maßvollen), brandschatzen die Fabrik ihres Vaters, und Stephan raubt sich die Braut.
Am Ende, er ist umzingelt "von Arbeitern aller Klassen", da will er Feuer in ein Munitionslager schleudern – Selbstmordterror – das stoppt in letzter Sekunde ein Rettungs-Schuss - von Regina. Großes Finale: „von allen Seiten Freiheitsboten nahn“, „Arbeiter von allen Klassen“ preisen „Heil Freiheit dir, du Völkerzier… (nicht etwa „Deutschlands Zier“) … das Volk lässt sich nicht spotten! So kommt dem Volk die Herrlichkeit.“ Freiheit für alle und Deutschland Vorbild: „Vaterland voran!“
Die letzten „Regina“-Noten fehlen. Soldateska hatte Ende Oktober 1848 Wien erobert, hatte Freund Robert Blum am Rand von Wien exekutiert am 9. November, de facto das Ende des ersten deutschen Republikversuchs. Lortzing endete mit den Seinen in unsäglicher Not. Über „Regina“ hinterließ er als Letztes: „Sie wartet auf bessere Zeiten“. Das Warten dauerte 150 Jahre. Kürzlich glänzte „Regina“ in Kaiserslautern und Ludwigshafen, vorzüglich auch in Meiningen. Dies dramatische Dokument aus dem Zeugungsjahr des Gerundgesetzes verdiente auch in großen Häusern oder im TV eine Chance, so wie alles, was dem Theatermusiker Lortzing die Einfälle lieferte, seine demokratische Vielstimmigkeits- und Ensemble-Lust – das „trotz alledem“ der 1848er, mit dem auch heute hilfreich zu erschrecken wäre – Theater als Republik.
Zar Lortzing
Da bechern in einer Leipziger Kneipe 1838 zwei glückliche Gesellen, kurz nach der Uraufführung von „Zar und Zimmermann“. Ein großer Erfolg, der beim Publikum mehr als 100 Jahre anhielt, also noch lange nach dem frühen Hungertod des Texters und Komponisten.
Eine denkwürdig gute Zeichnung, realisiert als Holzschnitt, der Urheber war nicht ermittelbar. Das Bild entstand 1838, kurz vor dem Start des Fotografierens. Und vor der Einführung des Gaslichts. Hier liegt auf dem Fuß des Kerzenständers neben der Zigarre eine Schere, zum Stutzen des Kerzenlichts.
Rechts Lortzing, links Lebrecht Berthold, Sänger (Bass), der soeben in der Polit-Komödie um Peter den Großen das holländische Stadtoberhaupt van Bett gewesen war, ein erster aktueller Politiker in einer Oper und erstaunlich ähnlich dem US-Präsidenten namens Trump, gleich in der Auftritts-Arie 47 mal "ich": "O sancta iustitia, ich möchte rasen", „ ich habe Staatsgeschäfte“ (schon er russische), "oh ich bin klug und weise und mich betrügt man nicht", „diese ausdrucksvollen Züge, dieses Aug' - wie ein Flambeau!, künden meines Geistes Siege, ich bin ein zweiter Salomo! - ein zweiter Salomo“, „denn ich weiß zu ruinieren“, "zu bombardieren", „bin nur Poet“, "mit Worten voll Salbung, voll Demut und Moral" etc etc). In Leipzig hatte nur das Publikum gejubelt, kurz drauf in Berlin auch die Kritik, z.B. Ludwig Rellstab, der Autor des von Schubert vertonten „Leise flehen meine Lieder – durch die Nacht – “. Bei der Premiere der Zaren-Oper dauerte es bis 1848 noch zehn Jahre. Und das "bombardieren"! Das brachte mich 1944, als Achtjähriger, in der total bombardierten Ruhrstadt - auf Lortzing.
1943
Unfassbar lebensgefährlich
(eine Rede am 30.9.17 vor gut 2000 Leuten vor dem Hbf Stuttgart, sieben Jahre nach dem „Schwarzen Donnerstag“, an dem eine friedliche Kundgebung gegen den Bau des Tiefbahnhofs von Polizei brutal vertrieben wurde. "Umstieg!" und "Oben bleiben“ blieben bis heute die Parolen der Freunde des alten und wunderbar funktionierenden Kopfbahnhofs)
"Verehrte OBENbleiber! Eigentlich war es doch bekannt, die Oberrhein-Ebene zwischen Frankfurt und Basel, die ist (seit dem Tertiär) ein riesiger Sandkasten, gut 300 km lang, 50 km breit. Mittendrin neuerdings, eingeschlossen in Beton, eine enorme Maschine. Poetisch tiefsinniges Bild. Ein Bohrgerät, 18 Millionen Euro teuer – für immer im Beton. Dabei wäre schon als Kind im Sandkasten zu lernen gewesen: Tunnel bauen im Sand – riskant. In Köln zerrutschte beim Tunnelbau im Sand des Rheins ein Stadt-Archiv, da starben Menschen, versanken Papiere, auch von Heinrich Böll. Nun, nach dem Crash am Oberrhein als „Plan B“: allein B. B wie BETON. Aliens, wenn sie im Jahr 7412 dort, wo mal Rastatt war, auf riesigen Beton stoßen, werden rätseln. Ein Heiligtum? Entdecken dann im Beton vom Lebewesen „Mensch“ ein eisernes Ungetüm. Und entziffern daran ein merkwürdiges Wort: „Herren - - - knecht“.
Es gab mal einen sehr guten Bundespräsidenten, einer aus dem Ruhrgebiet, der empfahl, einmal im Leben müsse jeder mal in Rastatt gewesen sein, im Freiheits-Museum. Das dokumentiere frühe Kämpfe unserer Vorfahren für Demokratie und Menschenrechte. 1849 kam da Preußens Militär aus Berlin mit den ersten Eisenbahnen nach Rastatt und hat die Freiheitsbewegten in Rastatt zusammengeschossen. Gnadenlos exekutiert wurden die Anführer, in einer unserer ersten Schlachten für Menschenrechte. Einer nur konnte fliehen, durch den Rhein, hinüber nach Frankreich und bis in die USA. Wurde dort Innenminister: Carl Schurz. Rastatt hatte schon früh schwarze Donnerstage. Derzeit werden bei Rastatt täglich tausende Bahnfahrer geprüft, wie gut sie meterhohe Treppen bewältigen können mit Gepäck und Kind und Kegel. Eben war auch ich noch (von Freiburg aus) mitten in dem Getümmel. Das scheint ein Test zu sein fürs Schwarze Loch im Inneren von Stuttgart. Das ja immer noch kommen soll, obwohl dagegen seit mehr als zehn Jahren mit besten Argumenten eindrucksvoll protestiert wird, woran ich mich beteiligen durfte, mit einer Rede im voll besetzten Großen Ratssaal der Landeshauptstadt, wo Verantwortliche des Debakels direkt vor mir saßen, in der ersten Reihe Finanzminister und Stadtoberhaupt.
Denen wollte ich es so deutlich wie möglich machen, das verkorkste Verkehrs-Konzept der deutschen Bahn, dies neue kommende Hindernis für unser Miteinander in Europa. Ein „Airbus auf Schienen“? Das verschwände hier in einem Schwarzen Loch. Derzeit verdrückt er sich, der Verkehrsminister Dob/Rindt. Der führt nun die Bayern in Berlin. Tja, Bayern unterzeichnete bis heute nie unsere Verfassung. Die schützt halt nicht die Würde des Bayern, nicht mal die des Deutschen. Nur die „des Menschen“. So wunderbar weltoffen ist es, unser Grundgesetz – das war zu viel, für Bayern.
Im Großen Saal des Rathauses den Entscheidenden Entscheidendes zu sagen, half nichts, auch nicht als Direkt-Ansprache, immerhin ist das im Drachenbuch nun nachlesbar, z.B. folgendes: „Auch Freiburg will Bahn-Fortschritte, aber doch erst mal und endlich für Europas viel wichtigere Bahn-Achse Nord-Süd, die von Hamburg, Niederlande, Ruhrgebiet, Köln und Frankfurt in die Schweiz führt und nach Italien und die am Oberrhein dringend auf vierspurigen Ausbau wartet, auf Anbindung an den Gotthart Basistunnel. Stattdessen mühen sich da seit Jahrzehnten auf oft nur zwei Spuren pro Tag 200 Güterzüge, dazu Nahverkehr, Doppelstock-Interregios und ECs und ICEs – quälen sich von sogenannter Signalstörung zu sogenannter Signalstörung.“ Wörtlich so hab ich das damals zu verdeutlichen versucht im Ratssaal der Landeshauptstadt – keine Reaktion. Nun liest man’s aber, in meiner Bilanz „Gegen Drachen“.
Half auch nichts, das Desaster komisch zu schildern, mit Spott z.B. über Landesvater Öttinger, der in der Aula der Freiburger Uni zweitausend Studenten belehrte, Kopfbahnhöfe seien nur gut für eine Stadt wie Paris, denn Paris habe Richtung Westen nur noch Viehweiden und den Atlantik. So weit Brüssels Europa-Fachmann. Höhnisches Gelächter. Auffallend, dass leitende Bahnleute stets von Stuttgarts großer Auto-Firma kamen, Dürr, Mehdorn, Grube. Die stifteten und türmten autogerechtes Unheil, sorgten nicht erst mit Diesel für Betrug. Eines hatten sie ja gut gelernt, wie Bahn-Konkurrenz auszuschalten ist. Und da stehen sie nun kurz vor einem Erfolg, hier, in diesem wahrlich Schwarzen Loch.
Der Schwarze Donnerstag im Schlossgarten war ein Fanal, das zeigte zum ersten Mal die heute herrschenden Verrohungen, damals noch von oben her, das Anonyme noch nicht als digitale Hetze, nein, Anonymität kam damals als Gas, schoss panzerstark aus Wasserkanonen, verletzte Frauen und Schüler und Alte, die Durchblick hatten auf die Hilflosigkeit der Bahnpläne, die Kanonen verletzten klaren Blick konkret blutig, den Blick auf das Unglück im Zentrum dieser Stadt. Derweil wurde die Stuttgart berühmt als „Staubstadt Stuttgart“ – sieben mal der Buchstabe „T“. Kritische Theologen malten die sieben „T“ wie Galgen. Und rückten im berühmten Jesus-Wort ein Wort an eine andere Stelle: Herr vergib ihnen NICHT, denn sie WISSEN, was sie tun.
Im Innersten Stuttgarts wuchert ein Monstrum, eines, das nie funktionieren wird, nämlich dann nicht, wenn das Eisenbahnbundesamt bereit sein sollte zu kriminellen Akten. Wenn dieses Amt etwa erlauben würde, was nie erlaubt sein darf, sofern Leib und Leben noch was gelten – Leib und Leben sind bislang aber kein Argument gegen das sündhaft teure Unikum, gegen den Tiefbahnhof als Schiefbahnhof. Wo 8 Gleise statt 16 unmöglich werden leisten können, was vor der Volksabstimmung behauptet worden war, mit Leistungslügen, mit Kostenlügen und Kapazitätslügen.
Welch eine Ruhmestat, Deutschlands best funktionierenden Kopfbahnhof zu ruinieren. Den konnte man bei Gefah nach allen Richtungen sofort verlassen – demnächst aber, würde das Loch tatsächlich weiter gebaut, wären bei Alarm sieben Höhenmeter zu überwinden, meist über Treppen. Kinderwagen und Alte voran? Auch der Normalbetrieb – x-mal durchgerechnet – brächte nichts als Stress. Das Nadelöhr würde nicht beschleunigen, sondern behindern. Die ach so steile Architektur, sie ist ZU steil. Solch ein Bahnhof müsste sogar sorgfältig umgangen werden von allem, was rollt. Nicht nur Güterzüge, auch die nun so sehr beliebten Rollkoffer dürften da gar nicht erst rein, wer umklammert schon beim Warten auf den Zug unablässig seinen Koffer? Unzulässig wären in diesem Schiefgelände natürlich Kinderwagen. Und Rollstühle sowieso. Nur gut Trainierte und konzentriert Wachsame hätten da Zutritt. Freilich würden in diesem Alptraumbahnhof auch Intercitys und Eurocitys und TGVs gern mal wegrollen, wenn das Bremsen wieder mal nicht ganz vollständig würde – alles schon passiert.
Bitter, jahrelang ansehen zu müssen, wie die, die man mal gewählt hatte, brav auslöffelten und weiter auslöffeln, was ihnen jahrzehntelang andere eingebrockt hatten, solche, die sich christlich nennen. Dem Debakel widersteht nun aber ein wunderbares Glück, eine unkaputtbare Stuttgarter Opposition hält Kopf und Kopfbahnhof hoch. Ingenieure, Unternehmer, Studenten, Selberdenker quer durch die Stadt, sogar Theologen. Mit inzwischen vierhundert Montags-Kundgebungen und nun, einzigartig, mit konstruktiver, mit realistisch konkreter Gegen-Arbeit, mit „Umstieg 21“, der den Kopfbahnhof retten wird und das Zentrum Stuttgarts. Bravo all den Standhaften rund um einen wie Klaus Gebhard, bravo den „Parkschützern“, die den Irrsinn dokumentieren, damit Spätere sich erkundigen können, wie denn nur eine so tüchtige und kluge Kommune dermaßen hat versagen müssen. Dokumentiert wird da ein Lehrstück vom Blenden und Betäuben, von immobiler Immobilien-Gier, von autoritär autistischer Auto-Denkweise endete im überflüssigen Beton. Und jetzt endlich mit staatsanwaltlicher Ermittlung – auch gegen meine Lieblinge Kefer und Pofalla – wegen (Zitat) „schädigender Untreue durch den Weiterbau von S 21“. Die reale Rohheit des Lehrstücks S 21 übertrifft Brechts Stücke um Längen. Wer denn auch könnte eine Figur wie einen Herrn Mappus erfinden.
In Stuttgart hatte schon kurz nach 1800 ein Dichter, der nur 24 Jahre alt wurde, prophetischen Durchblick, Wilhelm Hauff in „Das kalte Herz“, verkannt als Märchen. Das nimmt lange vor 1848 und lange vor Marx märchenhaft genau vorweg, was sich derzeit hier abspielt als kaltes Kapitalgewerbe (Zitat Hauff): „Wo viel Geld ist, da sind die Menschen unredlich“ oder: „Hauptgeschäft war, mit Geld zu handeln“. Gleichfalls nachlesbar im Drachenbuch ("Gegen Drachen").
Zum Glück versammeln sich aber auch hier und heute – wie in der fabelhaften Schwarzwald-Saga vom „Kalten Herz“ – Gegenfiguren. Eisern und konsequent formulierend: Eisenhart von Loeper. Oder Dieter Reicherter, Peter Conradi und viele mehr. Eine tolle Gegenfigur traf ich auch IN Fessenheim – beim Atomkraftwerk 18 km südwestlich Freiburg (die tödliche Wolke nach einem GAU braucht beim üblichen Südwestwind bis Freiburg höchstens eine halbe Stunde, bis Stuttgart dann nur noch einen halben Tag) - im Ort Fessenheim also traf ich den jungen Laurent P. in seinem Laden für Photo-Voltaik, für Gegen-Energie im Schatten des AKW, und zwar unter der Parole „Donnez des ailes à vos projets“ – gebt Eueren Projekten Flügel ! Danke, Laurent! Gegen-Energie! Danke und Bravo hier Euch allen, den Unverdrossenen – Energie für Eure Flügel !
"Aber ich, wäre ich allmächtig, sagte Lenz, sehen Sie, wenn ICH so wäre? Ich könnte das Leiden nicht ertragen. Ich würde retten, retten, retten."
Georg Büchner, "Lenz, Ein Fragment".
"Sankt Andreas", der Riss durch die Erdkruste, weithin sichtbar in der Wüste "Carrizo" in Kalifornien. 1989 aus etwa 3000 Metern Höhe aufgenommen für "Amerika überm Abgrund" (90 Minuten, siehe "Filme", "Bücher"). Der Erdspalt hat auf der Strecke, die das Foto zeigt, eine Länge von fast 30 Kilometern, ihre Süd-Nord-Richtung hat hier zwei deutliche Unterbrechungren oder Querverschiebungen.
Seit Januar 1972 gab es im Dritten TV des SWF (heute SWR) monatlich ein "Literaturmazazin" und seit 1974 auch monatlich als Anti-Bestsellerliste eine "BücherBestenliste" - hier versammelt sich im "Hirschen" in Baden-Baden die Jury., vorn stellen Dagmar Berghoff und Jürgen Lodemann das neue Projekt vor. Von links:
Peter Laemmle (BR München), Jörg Drews (Uni Bielefeld), Lothar Baier (Frankfurt), Wolfgang Werth (SZ München), Günther Schloz (HR Frankfurt), Elisabeth Endres (München), Friederike Fecht (SWF Baden-Baden), Micaela Lämmle (SWF Baden-Baden), Adolf Muschg (Zürich), Jürgen Lodemann (SWF Baden-Baden, nicht stimmberechtigt), Hans Christoph Buch (Berlin), Heinrich Vormweg (Köln), Marcel Reich-Ranicki (FAZ Frankfurt), Rolf Becker (Der Spiegel, Hamburg), Rolf Michaelis (Die Zeit Hamburg), Ulrich Greiner (Die Zeit Hamburg), Stephan Reinhardt (Heidelberg), Aurel Schmidt (Baseler Zeitung).
Das Foto zeigt eine der ersten Versammlungen der Berufsleser in Baden-Baden, es fehlen hier Walter Jens, Peter Wapnewski, Fritz J. Raddatz, Alfred Kolleritsch, Armin Eichholz, Sigrid Löffler. Eingeladen wurde jedesmal in die Traditions-Absteige "Badhotel Hirsch", wo man in naturheißem Wasser badet und nicht nur Balzac seine heimliche Geliebte traf. Zwei Jahre später war die Jury doppelt so groß, angestrebt war die Zahl 100 , genehmigt wurden nur 35 monatliche Votierer. Kultur-Etats sind halt lächerlich winzig, obwohl die Staats-Verträge von den öffentlich-rechtlichen Sendern zu einem Drittel "Kultur" verlangen. Das die Bereiche Kultur im Etat nicht annähernd ein Drittel erreichen, ist also Vertragsbruch.
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(Erster Eintrag in meinem Tagebuch, ich war vor 14 Tagen "zur Welt gekommen") Mein lieber kleiner Jürgen! Dieses Buch gebe ich deiner Mutter, die dir am Tage vor dem größten Siege, dem Siege des Friedens, das Leben schenkte. Vergiss nie, dass das deutsche Volk diesen Sieg Adolf Hitler zu verdanken hat, dem Manne, dem du danken kannst, dass du lebst. Ohne ihn wäre Deutschland nicht, wärest du nicht. Werde einst ein ganzer Mann! Essen, d. 7.4.1936 Dein Vater. |
Partiturseite 23 zu Lortzings Arbeiter- , Robert-Blum- , Freiheits- und Terror-Oper REGINA von 1848 Seite 23 von 665 Seiten. Der Text, den hier der Chor der Arbeiter zu singen hat, lautet buchstäblich so: nachgerade wird es uns zu "viel! beschloßen ißt: zu Ende sei die Knechtschaft und die Tyrannei! - wir werden" (Recht uns jetzt verschaffen, wenn nicht mit Worten, dann mit Waffen, mit Waffen, mit Waffen!) - Das sollten 1848 "Fabrikarbeiter" singen. Die Oper endet mit "Nun kommt der Freiheit großer Morgen!" Mit solchem Wortlaut folgt Komponist und Texter Lortzing seinem Freund und Vorbild, dem Paulskirchen-Politiker Robert Blum, der im ersten deutshen Parlament 1848 in seiner letzten Rede die Idee eines "Völkerbundes" propagierte. In einer von Blums Freiheitshymnen heißt es ("Grochow"): ". . . der Freiheit goldener Morgen brach heran. . . " (siehe in diesem Absatz die erste Zeile) . Blum wurde am 9. November 1848 unter General Windischgrätz füsiliert. - - - Uraufführung der REGINA war dann erst am 13. März 1998 in Gelsenkirchen, auf den Tag genau 150 Jahre nach den Ereignissen in Wien und in Berlin, in Paris und in Europa. Auf dem prächtigen und schönen Opernhaus der Stadt Gelsenkirchen war eine Saison lang groß der Chortext zu lesen: "AUF EINE DAUERND SCHÖNE ZEIT!" |
Versuch, zur Publikation von Schopenhauers Nachlass entscheidende Mitteilungen seiner Philosophie ins Fernsehen zu bringen - in einer 17-Minuten-Reportage fürs "Literaturmagazin", angeregt von Ged Haffmans. Hier befragt der Moderator den vielseitigen Akteur Gerd Westphal als Schopenhauer. Der grollt in diesem Augenblick (authentischer Wortlaut Schopenhauer) gegen Wagner, bekennt sich zu Rossini und Mozart. |
Orions Kuh Auf der Nordhalbkugel der Erde erscheint im Winter am Nachthimmel das einzige klar umrissene Tierbild des Firmaments, ohne je die Ehre eines Sternzeichens zu bekommen, ist halt nur "Volksvermögen" (Rühmkorf). Ausgerechnet im Bild des Machos und „Großen Jägers“ Orion, im Sternbild eines Totschlägers zeigt sich - in diesem Foto im Bildviertel rechts unten - der Umriss eines Rindviehs, das allgemein anerkannt ist als nützlich und meistens friedfertig. Als ich mit der Mutter im Winter 1943/44 (siebenjährig) zum nahen Anthrazit-Bergwerk lief, wo "im Bunker" (einem alten Kohlen-Stollen) Schutz sein sollte vor den Bomben, rief ich unterwegs der Mutter zu, ich seh am Himmel eine Kuh. Das irritierte sie kein bisschen. Auch wir haben das als Kinder so gesagt. Diesem Kuhglauben widmete ich inzwischen mehrere Passagen meiner Schreiberei. Zum Beispiel wiederholt in "Siegfried und Krimhild". Auch in "Essen Viehofer Platz", auch im "Salamander", auch in "Fessenheim" und im szenischen "Siegfried", immer mal wieder geht's da um die Symbol-Kuh, als Alternative. In der Erstausgabe des Ruhrromans "Essen Viehofer Platz" sieht man in der Innenseite des Buch-Umschlags ein Foto, eine sechs Minuten lang belichtete Orion-Aufnahme der „Astronomischen Arbeitsgemeinschaft Bochum“ . Was hat's gebracht? Noch immer ist die Kuh als Sternzeichen verdrängt, ignoriert, ganz und gar nicht bekannt - ach, die Wirkungslosigkeit allen Dichtens und Trachtens. |
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Seit 2010, als bereits Hunderttausende rund um Stuttgarts Hbf energisch und mit besten Argumenten protestierten gegen die Fülle der Fehlplanungen – Ingenieure, Bahnfachleute, Bahnliebhaber, Unternehmer, Anwälte, Studenten, Schüler, Professoren, sogar Theologen – seitdem gibt es mehr als 555 Montags-Demonstationen in Stuttgart, doch seitdem üben Regierungen und Teile der Presse eine eigenartige Treue zu dem, was da seit mehr als 20 Jahren betrieben wird. Weil am Anfang – so wird mir immer klarer – unterm Zauber einer eleganten Tiefbahnhofs-Architektur hartnäckige Immobilien-Gier erwachte, die im Zentrum der Landeshauptstadt profitable Grundstücke witterte auf dem irgendwann mal still zu legenden Kopfbahnhof. Landesvater Kretschmann, nach der knapp befürwortenden Volksabstimmung: “Dr Käs isch gesse”.
Aber der Käs war voller Würmer. Das Volk entschied nicht nur auf Grund falscher Kosten-Daten, erst zwei, dann 4 Milliarden, 2017 – sogar offiziell – das Doppelte, längst mehr als Zehnmilliarden Schulden - unabsehbar abgelagert auf Kinder und Kindeskinder. Das abstimmende Volk kannte auch nur falsche Kapazitäts-Behauptungen, man sollte glauben, die 8 Gleise in der Tiefe leisteten mehr als die 16 Gleise im Kopfbahnhof. Das Gegenteil erweist sich als wahr, die Tiefe leistet nur knapp 50 Prozent dessen, was der professionell und brandgeschützt angelegte Kopfbahnhof nach wie vor kann. Kopfbahnhöfe sind in Frankfurt, Leipzig oder Paris urbane Attraktionen.
Mit nicht mal einer Milliarde hätte auch der Stuttgarter Bahnhof so etwas werden können, hätte. Und das kann er immer noch: genau geplant und durchgerechnet existiert in Stuttgart das Projekt “Umstieg 21”! Auskünfte dazu mit Fotos gibt es im Netz unter “Parkschützer”. Die bis jetzt gebuddelte tiefe öde Grube mit pikat prozigen Stelen, diese Grube könnte noch immer sinnvoll genutzt werden für Busbahnhöfe und Garagen, am Ende wären dann in der Schlussrechnung höchstens und immerhin 3 Milliarden zu zahlen. Inzwischen aber lässt die Regierung das Unding weiter bauen, macht sich massiv schuldig. "Unding" schon wegen seiner kriminellen Schieflage – gegen alle von der Bahn seit je praktizierten vernünftigen Vorschriften würden in der Tiefe Schienen und Bahnsteige unzulässige Hangneigungen haben, lebensgefährlich für Rollstühle, Rollatoren und alles sonst noch Rollende, für Kinderwagen wie für die modernen Koffer, auch für haltende Züge, wenn sie mal wieder so ganz perfekt nicht gebremst wurden.
Noch will ich glauben, dass das sonst so wachsame Eisenbahnbundesamt, verpflichtet keinem Verkehrsminister, sondern dem Grundgesetz, dass dieses Amt den Betrieb in Stuttgarts Untergrund nie genehmigen wird, weil dieser Schiefbahnhof Schaden brächte für Leib und Leben, nicht nur durch den fehlenden Brandschutz. Der “Käs” Volksabstimmung gärte aus Kostenlügen und Leistungslügen. Wann fassen Stadt- und Landes-Regierung endlich Mut, ziehen die entscheidenden Bremsen und steigen aus – sowohl IM Rathaus wie VOR dem Rathaus hab auch ich dazu aufrufen können, bei der 220. Montagsdemo. Doch schon 2014 im großen Stuttgarter Ratsaal, da saßen vor mir in Reihe Eins Oberbürgermeister und Finanzminister – und reagierten nicht. Ist nachlesbar in “Gegen Drachen” in zentralen Kapiteln (in “Angströhren“, in “Thaddäus Troll lebt”). Treu und brav löffeln “Grüne” und “Christliche” gemeinsam aus, Grüne unter LAndesvater Kretschmann, was ihnen alte CDU-Regierungen einbrockten. Und was sie nun gern verniedlichen aufs Juchtenkäfer- oder Eidechsen-Einsammeln und was in Wahrheit eine unbezahlbare und kriminelle Politkatastrophe ist - und was vor Gerichte gehörte
F.K. Wächter: "Es lebe die Freihei - "